Wir können uns miese Stimmung an den Finanzmärkten nicht erlauben!

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Es gibt Aktienzeiten, da läuft alles schief: Chinas Wirtschaft wird so skeptisch wie zuletzt 2009 eingeschätzt und der niedrige Ölpreis wirkt wie ein Bleisack für die weltkonjunkturelle Kaufkraft der Rohstoffländer. Und jetzt riecht es auch schon wieder streng nach Finanzkrise: Viele der Energieanleihen aus der US-Fracking-Industrie sind notleidend und in genau diese Not haben offenbar auch viele europäische Banken ordentlich investiert.

Aktuell ist die Anlegerstimmung so mies, als fielen Aschermittwoch, Karfreitag und Volkstrauertag gleichzeitig auf einen Tag. So mancher Anleger fühlt sich sogar an das Schicksalsjahr der Finanzwelt 2008 erinnert. Kommt es 2016 wieder genauso heftig? Damals kam es zur bis dato größten Finanzkrise, weil die US-Notenbank der Immobilienpreisblase - an sich ein ehrenwertes Unterfangen - mit trippelartigen Zinserhöhungen langsam, aber sicher die Luft wegnehmen wollte. Doch irgendwann war das kritische Leitzinsniveau erreicht: Zunächst platzte die Blase bei US-Hauspreisen, dann die der Finanzmärkte und dann die der Weltkonjunktur.

Ist ein Ende der geldpolitischen Rettungsmission in Sicht?

Mit anschließend dramatischer Neuverschuldung konnte sich zwar die Weltwirtschaft wieder fangen. Doch die Bezahlbarkeit der staatlichen Eingriffe - Europa leistete sich eine beispiellose Staatsschuldenkrise - war den Staaten nicht mehr möglich. Mit Leitzinsen von quasi Null, Renditedrückungen zur besseren Refinanzierung von Staatsschulden und schließlich dem Aufkauf von Schulden selbst, konnten Fed, EZB & Co. den finalen Finanzsystem-Crash bis heute verhindern.

Brauchen wir diese geldpolitischen Stützräder noch? Ja, der Finanzwelt fällt das eigenständige Radfahren unendlich schwer. Allein das Zinserhöhungsgerede in den USA ist ein wesentlicher Grund für die Schwäche des chinesischen Aktienmarkts seit August/September 2015 und für die wirtschaftliche Skepsis in China ist. Und selbst eine einzige US-Zinserhöhung von 0,25 Prozentpunkten sorgte bereits für Kapitalabzug aus den Schwellenländern. Ich behaupte, dass die US-Zinswende ein Fehler war.

Aus einer Finanzmarkt-Mücke wird schnell ein systemgefährdender Elefant

Ein noch viel größerer Fehler wäre jetzt eine Fortsetzung der Zinswende. Unser seit 2008 wieder mühsam aufgebautes Finanzsystem wäre dann so brüchig wie ein marodes Gartenhäuschen aus Holz. Schon heute wütet dort der Holzwurm: Es ist zwar nicht zu erwarten, dass der Ausfall von Energieanleihen die Banken annähernd so in Bredouille bringt wie in der Immobilienkrise, doch darf das grundsätzliche Verunsicherungspotenzial nicht unterschätzt werden. Denn warum hat 2008 die Pleite der Lehman-Bank, der als kleine Investmentbank ohne Einlagen- und Kreditgeschäft keine realwirtschaftliche Bedeutung zukam, die Finanzwelt fast erledigt? Ganz einfach: Das Problem war nicht die Pleite dieser Bank an sich, sondern die anschließend grassierende Risikoaversion. In der Finanzwelt traute man keinem mehr über den Weg, selbst dann nicht, wenn es sich um langjährig beste Geschäftsbeziehungen handelte.

Anflüge dieses Misstrauens sind auch heute bereits wieder zu beobachten. Das Kreditrisiko europäischer Banken hat seit Jahresanfang wieder deutlich zugenommen. Nicht umsonst verliert der europäische Bankenindex relativ zum europäischen Aktienleitindex (Stoxx 600 Europe) markant.

Bei Staatsanleihen in Europa trennt sich die Spreu vom Weizen

Selbst bei Staatsanleihen im Euro-Raum ist eine Flucht in Sicherheit auszumachen: Während Deutschland auf dem Weg zu neuen Allzeit-Renditetiefs bei 10-jährigen Staatsanleihen ist, tendieren die Renditen in Spanien, Italien und Portugal Schwung nach oben. Das ist eigentlich unlogisch. Denn die EZB hat doch mit ihrem Euro-Rettungsversprechen seit 2012 und schließlich ihren tatsächlichen Staatsanleiheaufkäufen - die netto mehr Staatspapiere aufkaufen als durch Neuverschuldung hinzukommen - das Thema Staatsschuldenkrise finanztechnisch ad acta gelegt.

Aus der geldpolitischen Rettungsnummer kommen wir nicht mehr heraus

Das ist eine bedenkliche Entwicklung. Denn finanzwirtschaftliches Misstrauen erreicht früher oder später immer auch die reale Wirtschaft. Dieses zuzulassen, ist seitens der Notenbanken grob fahrlässig.

Auch Chinas Notenbank hat keinen Anlass, sich geldpolitisch zurückzulehnen. Es wird tatsächlich immer noch zwischen drei und vier Prozent - die offiziellen Zahlen von 6,5 Prozent kommen von den Brüdern Grimm - wachsen. Damit könnten China und die Weltwirtschaft leben. Sollte man aber lange genug auf der Seele der chinesischen Aktionäre herumtrampeln, wird irgendwann aus schlechter Marktpsychologie Risikoaversion, dann Konsum- und Investitionsunlust und schließlich Wachstumsschwäche. Ich bin kein Freund von Planwirtschaft, aber um über die Stabilität der Finanzmärkte auch Ruhe in den chinesischen Konjunktur-Karton - die Lage ist besser als die Stimmung - zu bringen, wird sie jetzt dringend gebraucht.

Ich als Stabilitäts-Kind der deutschen Bundesbank wünsche mir das zwar, aber angesichts der wie Hühner verunsicherten Finanzmärkte von heute können wir uns die Rückkehr zur guten alten geldpolitischen Stabilität mit auch wieder höheren Anlagezinsen nicht mehr erlauben.

Notenbanken hört die Signale: Jetzt euer Breitbandantibiotikum zu reduzieren, lässt die alten Krisenviren wieder zum Vorschein kommen. Dann waren alle Maßnahmen seit 2008 für die Katz. Wer 2016 Risiken zulässt, hat die Krise von 2008 nicht verstanden. Eure laxe Geldpolitik ist zwar nicht alternativlos, aber die Alternative heißt Währungsreform à la 1948.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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