Kutzers Zwischenruf: Und wenn es doch anders kommt?

Hermann Kutzer · Uhr

Die Adventszeit beginnt und Weihnachten ist nah – da glaubt man gerne an das Gute. Und das ist nicht mehr fern: Impfstoffe sind da und können schon bald eingesetzt werden, Donald Trump wird im Januar das Weiße Haus an seinen demokratischen Nachfolger Joe Biden übergeben und den ganzen politischen Zoff (einschließlich Brexit) schieben wir erst einmal beiseite, denn die Pandemie zu beherrschen, ist das vorrangige Ziel. Wird das im Laufe der nächsten Monate erreicht, kann dies der Beginn einer neuen Bergetappe für die Börsen sein. Der Aktienmarkt ist bereit und wird versuchen, das Krisenende vorweg zu nehmen. Denn es wird dann nicht lange dauern, bis sich die Weltwirtschaft mit neuer Kraft erholt und die Unternehmen zunehmend über bessere Zahlen berichten.

So weit, so gut. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, geschätzte Anleger, was es (voraussichtlich) bedeuten würde, wenn es doch anders käme, weil alles länger dauert als erwartet? Dafür spricht momentan zwar wenig, doch lohnt es sich immer, Chancen und Risiken gemeinsam zu betrachten. Nimmt man die aktuelle Stimmung der Börsianer, dann gibt es mindestens zwei positive Erkenntnisse: Die Erfolgsnachrichten der Impfstoff-Forscher haben spontan wie frischer Kraftstoff für den Aktienmarkt gewirkt – ohne dass überbordende, endlose Euphorie ausgebrochen wäre. Zudem ist die Angst vor einem neuen Crash weitgehend verflogen, weil sich die Börsianer beiderseits des Atlantiks auf ihre Notenbanken verlassen können – die werden auch in Zukunft Wirtschaft und Märkte ohne Limit mit Liquidität versorgen. Dazu kommen zuvor ungeahnte Gelder durch die Fiskalpolitik.

Aber wenn es doch anders kommt? Wenn die Impfstoffe nicht schnell, wirkungsvoll und breit eingesetzt werden können? Wenn die Infektionszahlen nur zögerlich kleiner werden? Wenn die Medien zu Beginn 2021 über eine hohe Welle von Firmenpleiten berichten müssen? Wenn Lageberichte und Prognosen aus der Wirtschaft nach unten korrigiert werden? Ich will den Börsen-Bären keinen Mut machen, sondern nur an das erinnern, was auch möglich ist. Denn das sollten kurz- bis mittelfristig orientierte Anleger in ihrer Taktik berücksichtigen.

Betont vorsichtige Investoren können entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen, unter anderem indem sie alle Aktienpositionen gegen stärkere Verluste absichern. Ohnedies bietet es sich immer noch an, mit neuen Engagements eher zurückhaltend zu sein („Bisschen-Taktik“) und/oder sich auf gezieltes Stockpicking zu konzentrieren. Schließlich bleibt meine alte Empfehlung sinnvoll, parallel zur Aktienanlage in physisches Gold zu investieren – ungeachtet seiner jüngsten Preisschwäche.

Wie gesagt, dass es so kommen wird, ist nicht meine Prognose. Und es betrifft das kurzfristige Taktieren. Die langfristige Anlagestrategie – insbesondere mit Sparplänen auf Aktien, Investmentfonds und Gold – sollte in keinem Szenario in Frage gestellt werden.

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