Kutzers Zwischenruf: Achtung, Anleger! Nur die Unsicherheit ist sicher

Hermann Kutzer · Uhr

Aus aktuellem Anlass ein weiteres Kapitel zum Thema Unsicherheit. Denn die heute veröffentlichten Stimmen und Analysen ergeben zusammengenommen ein diffuses Bild von Wirtschaft und Kapitalmarkt und mahnen die Anleger, nicht euphorisch zu werden. Denn es stehen uns Pandemie-bedingt noch einige schwere Wochen bevor. Andererseits können gerade die jüngsten Erhebungen zu Lage und Perspektiven denjenigen Mut machen, die mit einem weiten Zeithorizont an der Börse investieren.

Führende europäische Forschungsinstitute (deutscherseits das Ifo) haben ihre Konjunkturprognose für das Eurogebiet kräftig gekappt. Für das letzte Vierteljahr 2020 erwarten sie nun ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent. Ende September hatten sie noch mit plus 2,2 Prozent gerechnet. Fürs erste Quartal 2021 erwarten die Institute nun nur noch ein Wachstum von 0,7 Prozent, nach 1,5 Prozent, wie noch im September gedacht. Dazu heißt es: „Der Ausblick wird von großer Unsicherheit darüber überschattet, wie sich die Wirtschaft bei steigenden Ansteckungszahlen und gleichzeitigem Beginn der Impfungen gegen Corona entwickelt. Auch könnte ein harter Brexit Lieferketten unterbrechen.“ Keine Überraschung sind die neuen Daten zum Konsumklima in Deutschland. Die Stimmung der Verbraucher zeigt zum Jahresschluss ein uneinheitliches Bild. Während Konjunkturerwartung und Anschaffungsneigung etwas zulegen, muss die Einkommenserwartung Einbußen hinnehmen. Da die Sparneigung im Dezember spürbar steigt, prognostiziert das Nürnberger GfK-Institut für Januar 2021 einen Wert von minus 7,3 Punkten und damit 0,5 Punkte weniger als im Dezember.

Viele besorgte Anleger fragen sich (nicht ohne Grund), was aus den beispiellos hohen Schulden wird, denn die immensen Corona-Kosten treiben die deutschen Staatsschulden in nie dagewesene Höhen. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung einschließlich aller Extrahaushalte standen Ende September mit der Rekordsumme von 2.195,1 Milliarden Euro in der Kreide, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte. Das sind 15,6 Prozent oder 296,4 Milliarden Euro mehr als Ende 2019. Seit Ende 2012 waren die Verbindlichkeiten kontinuierlich gesunken, ehe in diesem Frühjahr wegen Corona wieder ein erster Anstieg verzeichnet wurde. Man mag‘s kaum glauben, aber: Verglichen mit anderen Ländern ist die Schuldenlast trotz des Rekordwerts immer noch relativ gering. Die Industriestaaten-Organisation OECD geht davon aus, dass die deutschen Staatsschulden in diesem Jahr bei rund 74 Prozent des Bruttoinlandsproduktes landen werden. In Frankreich dürfte dieser Wert bei 116 Prozent liegen, in Italien bei 160 Prozent und in den USA bei 128 Prozent.

Ein Anlegerthema, das uns inzwischen wieder beschäftigt, ist die Inflation, obwohl sie zahlenmäßig gesehen noch weit entfernt ist, denn mit monatlichen Minus-Teuerungsraten bewegt sich Europa im Deflationsbereich. Manche Berichte unterstreichen die Wahrscheinlichkeit von hoher Inflation in naher Zukunft mit

potenziell dramatischen Auswirkungen auf Aktien aufgrund ihrer Sensitivität in Bezug auf die längerfristigen Finanzierungskosten. Ich sehe das gelassen, ähnlich wie Strategen der DPAM (Degroof Petercam Asset Management). Auch wenn die Inflation angesichts des erheblichen Anstiegs der Geldmenge auf 2 bis 3 Prozent steigen könnte, wird das den Aktienmarkt nicht belasten. Denn Aktien bieten einen Inflationsschutz aufgrund des großzügigen Renditeabstands gegenüber Staatsanleihen. Außerdem dürften die Multiplikator-Kennzahlen von börsennotierten Unternehmen nicht dramatisch leiden, solange die Inflation unter Kontrolle bleibt. Hinzu kommt, dass auch verschiedene disinflationäre Elemente im Spiel sind, die ebenfalls in naher Zukunft ein Szenario, in dem die Inflation außer Kontrolle gerät, verhindern dürften.

Die Unsicherheit bleibt vielschichtig. Als langfristiger Börsen-Bulle bleibe ich deshalb bei meinem Appell, Mut mit Vorsicht zu verbinden. Laufen Sie nicht gierig Dow, Dax & Co. hinterher, geschätzte Anleger! Und wer mit einem mehrjährigen Horizont investiert, sollte sich von den in den nächsten Monaten möglichen Kursrückschlägen am Aktienmarkt nicht abschrecken lassen, sondern diese als Kaufgelegenheit betrachten.

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