Kutzers Zwischenruf: Ein tiefer Schock mit Langzeitfolgen

Hermann Kutzer · Uhr

Und jetzt? Die Welt ist entsetzt. In die Trauer und das Mitgefühl mit den unmittelbar betroffenen Menschen mischen sich zugleich schwerwiegende Fragezeichen. Die stehen nicht nur hinter den weiteren Plänen und Zielen von Wladimir Putin, sondern betreffen Dauer und Folgen des Kriegs in der Ukraine. Aus Sicht der Börsianer gibt es eine achselzuckende Zwischenantwort: unberechenbar. Wir spüren sofort, geschätzte Anleger, dass dieser Schock tief sitzt. Und seine Konsequenzen werden wir erst im Laufe der Zeit (welcher?) erkennen. Dabei geht es nicht nur um die Zukunft Osteuropas, sondern auch um die Wirtschaft im Westen.

Die Volkswirte der DZ Bank haben in einer spontanen Stellungnahme die passenden Worte gefunden: Der großangelegte russische Angriff auf die Ukraine ist eine Zäsur für die politische Ordnung in Europa und bringt für die Menschen im Land unermessliches Leid. Die wirtschaftlichen Folgen sind noch kaum absehbar. Die westlichen Länder beraten über weitere und schwere Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die wohl in den nächsten Tagen verhängt werden. In einer ersten Reaktion ist der Ölpreis über die 100-Dollar-Marke gestiegen, die Aktienmärkte sind weltweit eingebrochen. Anleger flüchten in sichere Häfen wie Bundesanleihen, deren Rendite deutlich nachgegeben hat. Die Entwicklung in den nächsten Tagen und Wochen wird davon abhängen, welchen Verlauf der Krieg in der Ukraine nimmt und wie die unmittelbaren Auswirkungen der Sanktionen sein werden.

Der Anstieg der Rohstoffpreise und die Sanktionen werden die Wirtschaft auch in Deutschland belasten. Die Inflationsrate wird wohl zumindest kurzfristig (nur kurzfristig?) noch weiter ansteigen, vor allem über eine weiter steigende Energierechnung für die Verbraucher. Das schwächt deren Kaufkraft und tendenziell die Nachfrage von Haushalten nach anderen Gütern und erhöht die Kosten auch für die Unternehmen. Daraus folgen die Analysten der DZ Bank: Die globale Zinswende und das aktuelle Kriegsgeschehen belasten den Aktienmarkt stärker und nachhaltiger als ursprünglich erwartet. Die Marktvolatilität wird auf eine neue Höhe getrieben und auch hoch bleiben. Eine Anpassung der Indexziele für 2022 ist unumgänglich. Steigende Unternehmensgewinne bieten vom aktuellen Stand jedoch Kurspotenzial. Fazit: „Wir reduzieren zum Jahresende das Dax-Ziel von 18.000 auf 17.000 Punkte, das Indexziel für den S&P 500 senken wir von 5.300 auf 4.800 Punkte.“

Ich befürchte, liebe Leser, dass alle relevanten Eckpunkte unserer Volkswirtschaft in den kommenden Monaten überprüft und mehr oder weniger korrigiert werden müssen. Dabei bereitet mir die Inflation allein aufgrund der irren Energiepreisentwicklung besonders große Sorgen. Können wir wenigstens die Pandemie und ihre Folgen abhaken? Nein, das wäre verfrüht. Denn seit ein paar Tagen breitet sich bei uns der Omikron-Subtyp BA.2 immer weiter aus. Der könnte nach Ansicht des Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (Stiko) „beunruhigend werden“. Ob und wie sehr, wisse man noch nicht, sagte Thomas Mertens in einem Interview. Und was wird aus den Börsenprognosen? werden Sie fragen. Auch die müssen auf den Prüfstand.

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