Energie-Krieg zwischen Russland und dem Westen: Mögliche Szenarien für die Wirtschaft, falls die russischen Pipelines dichtgemacht werden

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In den letzten Tagen sind die Öl-Preise wieder ein wenig zurückgekommen, während die Aktienmärkte sich an einer Erholung versuchen. Das übergeordnete Bild bleibt jedoch von Volatilität und politischer wie wirtschaftlicher Unsicherheit geprägt, denn der Krieg in der Ukraine hält an. Eine Verhandlung der Außenminister der beiden Länder am Donnerstag hat keine Ergebnisse gebracht, Russland setzt den Angriff bisher weiter fort.

Damit setzt sich auch der politische Druck gegen das Land fort, mit allen wirtschafltichen Auswirkungen. Die USA haben Anfang der Woche angekündigt, dass sie alle Importe von russischem Öl und Gas verbieten werden – Großbritannien erwägt eine Einstellung der Importe bis zum Ende des Jahres. Die EU skizziert Pläne, die russischen Gasimporte um zwei Drittel zu kürzen. Vor allem Deutschland bleibt stark abhängig von russischem Gas – ein Stopp der Lieferungen hätte erhebliche Folgen für die deutsche Wirtschaft.

Russland und Deutschland haben beide wenig Spielraum in der Energiefrage

Mehr als zwei Wochen nach Kriegsbeginn liefert Russland eigenen Angaben zufolge bisher immernoch in hohem Umfang Gas für den Transit durch die Ukraine nach Europa. An diesem Freitag werde erneut die vertraglich vereinbarte Menge von 109,5 Millionen Kubikmeter bereit gestellt, sagte Gazprom -Sprecher Sergej Kuprijanow der Agentur Interfax zufolge. Am Donnerstag hatte Präsident Wladimir Putin betont, dass Öl- und Gas-Lieferungen ins Ausland trotz beispielloser Sanktionen des Westens nicht gestoppt würden. „Wir erfüllen alle unsere Verpflichtungen im Bereich der Energieversorgung. Wir liefern alles, was wir zu liefern haben“, sagte der Kremlchef.

Außenminister Lawrow hatte auf der Pressekonferenz in der Türkei betont, dass Russland nicht vor habe, die Rohstofflieferungen als politisches Druckmittel zu verwenden. Gleichzeitig hätte man keine Angst, sollte die EU die Importe stoppen. „Wir zwingen niemanden, unsere Rohstoffe zu kaufen. Wir werden jedoch im Zweifel andere Käufer finden, andere Absatzmärkte haben wir“, so der Außenminister.

Zwar ist vor allem die deutsche Wirtschaft extrem abhängig von Russland als Energieversorger, jedoch ist trotz der Aussagen Lawrows klar, dass die Lieferungen auch für Russland eine existenzielle Rolle spielen. In der derzeitigen Situation noch mehr, da andere Einnahmequellen durch die erheblichen Sanktionen des Westens und den Rückzug vieler Unternehmen aus Russland immer mehr versiegen. Auch der engere Schulterschluss mit China wird keine unmittelbare Alternative sein. „Obwohl Moskau im vergangenen Monat ein neues Abkommen mit Peking geschlossen hat, um Chinas CNPC mit zusätzlichen 10 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr zu beliefern, wird die neue geplante Pipeline für den Transport dieser Lieferungen zwei bis drei Jahre dauern“, sagte Mathieu Savary, Europastratege bei BCA Research, gegenüber dem Nachrichtensender CNBC zu der derzeitigen Lage. „In der Zwischenzeit muss sich Russland auf seine Verkäufe nach Europa verlassen, um seinen militärischen Einmarsch in die Ukraine zu finanzieren und die innere Stabilität zu gewährleisten.“

Goldman Sachs skizziert Szenario der wirtschaftlichen Schäden

Laut einer neuen Analyse der US-Investmentbank Goldman Sachs hätte eine Unterbrechung der russischen Gasimporte erhebliche negative Auswirkungen auf die EU und die Inflationsentwicklung im Euroraum. Die Analysten stellen in der Studie mehrere Szenarien vor, die die Auswirkungen prognostizieren sollen.

„Indem wir physische Gasversorgungsengpässe und Preisdruck nach oben in Bruttowertschöpfungs-Effekte in der Eurozone und im Vereinigten Königreich abbilden, schätzen wir, dass für das Jahr 2022 insgesamt hohe Gaspreise das BIP-Wachstum der Eurozone um 0,6 Prozentpunkte belasten könnten und in Großbritannien um 0,1 Prozentpunkte im Vergleich zu unserer Basisprognose, wenn wir von keinen weiteren Unterbrechungen der Gasversorgung ausgehen“, heißt es.

Die Auswirkungen in Deutschland dürften aufgrund der hohen Abhängigkeit von russischem Gas noch größer sein. Die Analysten gehen hier von minus 0,9 Prozent aus. „Das Szenario, in dem Russland alle Pipeline-Exporte stoppt, könnte dazu führen, dass das BIP-Wachstum im Euroraum im Jahr 2022 um 2,2 Prozentpunkte im Vergleich zu unserer Basisprognose sinkt, mit erheblichen Auswirkungen auf Deutschland (-3,4 Prozentpunkte) und Italien (-2,6 Prozentpunkte).“

Auf die Inflationsentwicklung hätte ein Stopp der Lieferungen ähnlich starke Auswirkungen. „Wenn die Gaspreise weiter steigen, weil Gaspipelines aus Russland geschlossen werden, könnte unsere Gesamtinflationsprognose um bis zu 1,3 Prozentpunkte höher ausfallen, was wahrscheinlich auch zu einer erheblichen Weitergabe an die Kernpreise führen würde“, so die Analysten.

Der Markt bleibt unberechenbar

Anhand dieser Szenarien wird ersichtlich, dass ein kompletter Stopp der russischen Lieferungen vor allem für die deutsche Wirtschaft sehr schmerzhaft wäre. Eine wirtschaftliche Rezession wäre in einem solchen Fall wohl unausweichlich. Das hätte auch langfristige Auswirkungen auf den Aktienmarkt, die die Unternehmensgewinne in den nächsten Monaten und Jahren in Mitleidenschaft gezogen werden. Diese Situation würde einem ausgewachsenen Bärenmarkt eine Menge Treibstoff geben. Die weiter ausufernde Inflation würde diese Effekte nur noch verstärken, da die erhöhten Preise sowohl die Industrie als auch die Privatleute zusätzlich unter Druck setzen.

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onvista-Redaktion mit Material von dpa-AFX

Titelfoto: Mikhail Mishunin / Shutterstock.com

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