Kutzers Zwischenruf: Zeitenwende? Anleger brauchen jetzt viel Geduld

Hermann Kutzer · Uhr

„Der Anfang vom Ende des Wohlstands“, titelt Bild am Sonntag. Und sie zitiert Finanzminister Lindner: „Der Krieg macht uns alle ärmer.“ Ich bin mir nicht sicher, ob alle Sparer und Anleger tatsächlich schon die wirtschaftliche und politische Tragweite der aktuellen Krisen, Katastrophen und Kriege realisiert haben. Kann man das überhaupt? Ich befürchte, nein. Denn allein die Entwicklung des Ukraine-Kriegs ist unberechenbar. Im Zusammentreffen mit der noch nicht überwundenen Virus-Pandemie sind Auswirkungen denkbar, die den historischen Begriff Zeitenwende rechtfertigen würden. Deshalb sollten Börsianer gar nicht erst versuchen, sichere Erfolgsrezepte aus dem täglichen Nachrichtengetümmel herauszulesen. Es gibt sie nicht.

Besonders schlimm und folgenschwer ist auf kurze Sicht – nach dem Leid der Kriegsopfer im Osten Europas – die fehlende Zuverlässigkeit der Informationen. Wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte müssen Analysen und Prognosen überarbeitet und korrigiert werden. Unternehmensstrategische und -taktische Entscheidungen haben deshalb oft keine sichere Grundlage. Erst recht gilt das für politische Maßnahmen. Wie sollen sich da private Kapitalanleger orientieren? Allein die Versorgungs- und Preisprobleme im Energiesektor sind eine außerordentliche Bedrohung für Unternehmen und Bürger – von den staatlichen Haushalten einmal abgesehen.

Wenn es vergangene Woche in Börsenberichten hieß, zu Beginn des zweiten Quartals haben sich die konjunkturellen Aussichten deutlich eingetrübt, so ist dies eine milde Untertreibung. Denn der deutsche Exportmotor droht ins Stottern zu geraten, Unternehmen könnten Investitionen auf Eis legen und Verbraucher ihren Konsum drosseln: Die deutsche Industrie befürchtet schwere wirtschaftliche Folgen wegen des Ukraine-Kriegs. Für Deutschland sieht der konjunkturelle Ausblick „sehr trübe“ aus, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. Und die Corona-Lockerungen bescheren der Konjunktur in diesem Frühjahr nicht den erhofften Wachstumsbonus.

Versucht man die ökonomischen Sogen bei uns auf den Punkt zu bringen, dann ist es der dramatische Geldwertschwund. Ich kann mich nicht an vergleichbare Fälle erinnern, dass die Entwicklung der Inflation oder anderer volkswirtschaftlicher Basisdaten so total falsch eingeschätzt wurde wie jetzt (dem Krieg geschuldet). Plus 7,3 Prozent im März – die Teuerung wird tiefe Spuren hinterlassen. Schon gibt es Hamsterkäufe in Supermärkten (vom Mineralwasser bis zum Klopapier), wird an allen Ecken mit dem Sparen begonnen, kündigen Produzenten und Händler Wellen weiterer Preissteigerungen an. All das (und das vermutlich Kommende) sind Entwicklungen, die unseren Alltag verändern werden. Nachhaltig. Sollte sich solcher Pessimismus später als Fehleinschätzung erweisen, so dürfte die Rückkehr zu gewohnter Normalität ein langwieriger Prozess werden.

Und die Börsenfans, was können die tun? Antwort: Sie müssen selbst entscheiden, wie sie reagieren wollen. Nichts tun und Liquidität erhöhen, ist eine Alternative. Aktiendepots behalten, Stop-Loss überprüfen und verfügbares Vermögen in Gold als „Sicherheitsspeicher“ investieren, ist eine weitere Variante. Ich halte den Vergleich mit dem Autofahren für passend: Ein sportlicher, aber sicherheitsbewusster Fahrer wird vom Gas gehen oder sogar auf die Bremse treten, wenn er eine besonders kurvenreiche, gefährliche Strecke erreicht. Ein besonders vorsichtiger Aktienanleger kann ebenfalls sein Engagement erst einmal runterfahren. Auf alle Fälle brauchen wir jetzt viel Geduld.

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