Kutzers Zwischenruf: Es ist (noch) keine Aktiensaison

Hermann Kutzer · Uhr

Stimmung und Kurse bleiben uneinheitlich. Analysen und Prognosen der Experten sind nach wie vor wechselhaft. Man tut sich schwer, einen klaren Trend zu beschreiben. Privatanleger vermissen deshalb überzeugende Orientierungshilfen. Bald beginnt die zweite Jahreshälfte – und die sollte nach (bisher) vorherrschender Meinung ja den Wiederaufschwung von Konjunktur und den Rückgang der Inflation bringen. Dahinter stehen mittlerweile aber große Fragezeichen. Wir erkennen jetzt, dass die Folgen von Pandemie und Krieg viel schwerer wiegen als ursprünglich befürchtet. Ich befürchte, es drohen weitere perspektivische Korrekturen. Also vorsichtig bleiben – es ist keine Hochsaison für die Aktienanlage.

Neben der Betrachtung einzelner Anlageklassen und -regionen wird dementsprechend auch unter den Profis über die Zeit-Fragen diskutiert. Vor der Pfingstpause konnte man eine kritische Darstellung von Strategen einer Bank lesen – Stichwort „das Rauschen“. Es gibt verschiedenste Formen von Rauschen. Das Meeresrauschen mag man als angenehm empfinden, ein rauschendes Autoradio schon eher weniger. Und dann gibt es Rauschen, das man als solches gar nicht unbedingt wahrnimmt. Dazu gehört der nie abreißende Nachrichtenfluss an Kapitalmärkten, der zu Kursbewegungen führt, die von klassischen Investoren kaum sinnvoll genutzt werden können, aber trotzdem immer argwöhnisch verfolgt werden. Denn die meisten Nachrichten werden mehr oder weniger in Echtzeit von Kapitalmärkten bewertet und eingepreist. Als Investor, der einen langfristigen Investmentansatz verfolgt, sind derartige Nachrichten und die dadurch ausgelösten Kursreaktionen jedoch eine Art von Rauschen, das eigentlich nicht entscheidungsrelevant sein sollte und oftmals zu fatalen Schlussfolgerungen führt. Trotzdem beschäftigen sich Heerscharen von Analysten und Portfoliomanagern mit dem täglichen verrauschten „Gezwitscher“, statt sich auf die Sachverhalte zu fokussieren, die für die langfristigen Trends relevant sind, denn nur sie können auch von einem langfristigen Investor genutzt werden.

Was das aktuell heißt, beschreibt die jüngste Sentiment-Erhebung der Börse Frankfurt. Das Gros der Kommentatoren geht angesichts der Entwicklung an den US-Börsen, aber auch an den hiesigen Aktienmärkten davon aus, dass es sich beim jüngsten Aufbäumen der Indizes lediglich um eine Rally im Bärenmarkt handelt. Denn der Sentiment-Index ist recht deutlich gefallen. Dabei hat sich die Gruppe der Optimisten gegenüber der Vorwoche um rund ein Fünftel reduziert. Hinter dieser Veränderung stecken in erster Linie Gewinnmitnahmen, wobei sich die Mehrheit der Wechselwilligen, nicht direkt auf die Short-Seite, sondern erst einmal an die Seitenlinie begeben hat. Möglicherweise mit dem Hintergedanken, dass sich die bisherige Dax-Erholung doch noch weiter als bisher erlebt ausdehnen könnte.

Und so interpretiert der Frankfurter Verhaltensökonom die Ergebnisse der jüngsten Umfrage: Die Stimmungskluft zwischen privaten und institutionellen Investoren hat sich wieder deutlich verringert. Nicht zuletzt, weil die Dax-Entwicklung der vergangenen Woche den in der Mehrheit befindlichen Optimisten unter den institutionellen Investoren in die Karten gespielt und somit mancherorts zu recht ordentlichen Gewinnmitnahmen geführt haben dürfte. Auch wenn sich der Sentiment-Index in dieser Gruppe fast auf neutralem Niveau befindet, zeigt die relative Sicht auf drei und sechs Monate, dass wir es derzeit eigentlich mit einem leichten Pessimismus zu tun haben. Nicht zuletzt, weil die Mehrheit der Akteure davon ausgeht, dass es sich bei der jüngsten Erholung lediglich um eine Korrekturbewegung im übergeordneten Bärenmarkt handelt.

Alles klar, geschätzte Anleger? Sicher nicht. Finden wir uns damit ab, dass es auch an der Börse nicht nur längere Hoch- und Tiefphasen gibt, sondern auch unentschiedene Zwischenphasen, wenn die kurz- bis mittelfristige Zukunft der marktentscheidenden Einflüsse nicht absehbar ist. 2022 könnte für Bullen und Bären enttäuschend verlaufen.

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