ESG – wirklich nachhaltig oder nur ein Strohfeuer

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Die Zahlen sprechen für sich: ein Plus von 200 Prozent bei den Nettozuflüssen. Welch objektiver Beweis, dass ESG-Fonds angekommen sind. 2021 war fast jeder sechste Euro in solchen Fonds investiert, 2020 war es nur knapp jeder zwanzigste Euro. 2021 wiesen 25 Prozent der Publikumsfonds in Deutschland Nachhaltigkeitsmerkmale auf, in Frankreich waren es 60 Prozent und in Schweden sogar 79 Prozent.

ESG ist ein Nachhaltigkeitsmerkmal und steht für Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung). Mittlerweile achten immer mehr Investmentgesellschaften und Banken auf die Nachhaltigkeit und legen auch dementsprechende Fonds auf.

Selbst Größen wie BlackRock springen auf den Zug und wollen mit ihren Investitionen die Dekarbonisierung der Wirtschaft nach vorne treiben. Dieses große gesellschaftliche Ziel könne laut Larry Fink, dem CEO von BlackRock, nur gelingen, wenn Wirtschaft und privates Kapital zusammenarbeiten. Das sind keine leeren Worte, denn BlackRock spricht diese Themen bei den Vorständen und auf den Hauptversammlungen aktiv an.

Börse ist Psychologie, Psychologie sind Emotionen

Die hohen Wachstumsraten sind ein Zeichen, dass die Nachfrage vorhanden ist. Die Preise an der Börse richten sich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage – und das ist in erster Linie Psychologie. Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr populär und wird von gesetzlichen Vorgaben gefördert, wie etwa von der EU-Offenlegungsverordnung, nach der Unternehmen Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Investitionen veröffentlichen müssen.

Dank dieser hohen Nachfragen von Seiten privater wie auch institutioneller Anleger werden immer mehr ESG-Fonds aufgelegt. Das ist kein Beweis, dass solche Fonds immer traumhafte Renditen erzielen. Es ist aber ein Zeichen, dass am Markt Menschen agieren, die mit ihrer Nachfrage das entsprechende Angebot erzeugen.

Fundamentalanalyse beachten, sonst platzen Träume

Auf Dauer darf jedoch eines nicht vernachlässigt werden: die Fundamentalanalyse. Es hat noch kein Unternehmen überlebt, das dauerhaft eine negative Bilanz aufwies. Daher sollte jeder Anleger bei der Bewertung nicht nur auf die Entwicklung des Kurses schauen. Hier grüßt der Neue Markt: Drei goldene Jahre mit traumhaften Renditen und der sicheren Überzeugung, dass die alten Kriterien nicht mehr gelten. Dann kam der März 2000 und es folgten drei Jahre sinkende Kurse und zahlreiche Insolvenzen.

Ähnliches ist auch mit Blick auf die jüngere Vergangenheit zu beobachten, als es um die Bewertung neuer, disruptiver Unternehmen ging. So notierte Netflix am 17. November 2021 bei 610,30 Euro, am 7. Mai 2022 bei 171,08 Euro. Ein Verlust von knapp 72 Prozent. Am 5. Januar 2022 kostete eine Aktie von Delivery Hero 146,20 Euro, am 7. Mai 2022 dagegen nur noch 29,49 Euro. Ein Verlust von knapp 80 Prozent. Einen ähnlichen Rückgang traf auch Zoom, das als großer Corona-Gewinner galt. Am 19. Oktober 2020 kostete eine Aktie 490,50 Euro, am 7. Mai 2022 lag der Preis bei 91,68 Euro. Ein Verlust von knapp 81,3 Prozent. Diese Zahlen zeigen: Anleger dürfen die Bilanz niemals aus den Augen verlieren, sonst platzen Träume.

Nicht blind auf Rating-Agenturen verlassen

ESG sind bloß drei Buchstaben, die schnell von der Zunge gehen. Aber hinter jedem einzelnen stehen hochkomplexe Themen, die erst einmal verstanden, interpretiert und eingeordnet werden müssen. Das verlangt wesentlich mehr Zeit als eine reine Fundamentalanalyse und ist sehr zeitintensiv.

Auf Rating-Agenturen können Anleger sich nur bedingt verlassen, denn jede hat ihre eigenen subjektiven Maßstäbe. Beispiel Tesla: Die einen Rating-Agenturen vergeben die Bestnote, weil E-Autos helfen sollen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Andere vergeben schlechtere Noten, weil sie den Abbau von Lithium kritisieren, bei dem viel Wasser und Energie eingesetzt werden muss. Wiederum andere legen mehr Wert auf Governance-Faktoren und kritisieren die schlechten Arbeitsbedingungen.

MSCI macht das Rating sogar von brancheninternen Vergleichen abhängig, weshalb selbst Ölfirmen, wie die portugiesische Galp Energia, die Bestnote von AAA erhält. Dieses gute Rating verdankt Galp seiner Unterstützung von CO2-Projekten. Der Gesundheitskonzern Fresenius dagegen erhält ein BBB, obwohl er sich an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN orientiert. Der Grund für diese mittelmäßige Bewertung: ein Korruptionsfall. Auch wenn die Agenturen ihre Meinung begründen, teilt sie nicht jeder Anleger. Manche Ratings sind sogar kontra-intuitiv. Wer hier nicht genauer hinschaut, kann sich Papiere ins Depot holen, die er gar nicht haben will und die seinen Werten widersprechen.

Fonds müssen ihre eigenen Kriterien haben

Alle Rating-Agenturen versuchen, nicht-finanzielle Aspekte zu berücksichtigen, die einen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg haben sollen. Das Problem: Diese nicht-finanziellen Aspekte sind im hohen Maß subjektiv. Es gibt auch keine verbindlichen Definitionen. Anleger müssen sich daher mehr als üblich mit den ESG-Kriterien befassen. Das aber setzt ein Active Ownership voraus, ein ständiges Beobachten und eventuelles Eingreifen. Interviews von Vorständen müssen genauso gehört werden wie die von Kritikern und man muss die Handlungen des Unternehmens genauestens verfolgen.

Wer noch Green Bonds ins Depot aufnimmt, muss prüfen, wozu das eingesammelte Geld verwendet werden soll und ob es auch in diesem Sinn verwendet wird. Diese Informationen müssen ausgewertet, interpretiert und unter die eigenen Werte subsumiert werden. Dies können die meisten Privatanleger nicht leisten, Fonds dagegen schon. Da die Nachfrage vorhanden ist, lohnt es sich, ein eigenes Researchteam zu unterhalten.

Die Kriterien müssen schon im Voraus klar definiert sein, wie die Frage, ob Atomkraft positiv ist, weil sie kein CO2 emittiert, oder negativ, weil die Frage nach der Entsorgung des Atommülls immer noch ungeklärt ist. Oder ob Governance gegen Environment überwiegt, wenn russisches Erdgas durch amerikanisches Fracking-Gas ersetzt werden soll, bei deren Gewinnung Chemikalien in den Boden gepumpt werden, das unter dem Einsatz von Energie verflüssigt und anschließend mit Tankern nach Europa verschifft wird.

Diese Kriterien müssen von Beginn an vorliegen und den Anlegern transparent gemacht werden. Dasselbe gilt auch für Korrekturen, die sich durch sich ändernde Umstände ergeben. Auf diese Transparenz dürfen gerade die Gesellschaften nicht verzichten, die ESG-Fonds auflegen. Nur so bauen sie Vertrauen auf und nur so kann die Nachfrage glaubhaft bedient werden.

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