Kutzers Zwischenruf: Vorsicht im Monat mit dem schlechten Ruf

Hermann Kutzer · Uhr
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Sollte man alten Börsenweisheiten folgen? Das müssen Sie selbst entscheiden, geschätzte Anleger, denn manchmal erweisen sie sich als nützlich, weil sie auf Erfahrungen beruhen. Der September hat keinen guten Ruf bei den Anlegern. Und gerade in diesem Jahr ist es ein Monat voller Belastungen und Risiken – Unsicherheit weltweit. Die Zinswende durch die Notenbanken – jetzt auch durch die EZB – hat zwar für monetärstrategische Klarheit gesorgt, gleichzeitig, aber neue Kontroversen ausgelöst (zu spät, zu stark?).

Und innenpolitisch sinkt das Vertrauen in die Ampel. Über die zu treffenden Entlastungspakete für die Bundesbürger als Folge der Energiekrise ist ein heftiger Streit entbrannt. Im ganzen Land wachsen die Sorgen. Auch international bestimmen brisante Headlines das Bild. Ein Beispiel: „Gleitet China in eine Rezession ab, steuern wir auf die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu“, warnt Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff in einem Handelsblatt-Interview.

Bei Anlegern hat der September einen schlechten Ruf, denn seit 1945 hat der S&P in diesem Monat im Durchschnitt einen Verlust von minus 0,56% verzeichnet – verglichen mit einem durchschnittlichen Zugewinn von 0,70% über alle Monate des Jahres hinweg. Auf kurzfristige Trends aufzuspringen, sollte man in der Regel besser professionellen Anlegern überlassen. Aber es lohnt sich, grob zu wissen, wie sich saisonale Muster an den Märkten bemerkbar machen. In diesem Jahr könnte die Geldpolitik einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob chancenreiche Vermögenswerte zum Monatsende im Minus oder im Plus liegen. Einige Anleger haben sich bereits für einen geldpolitischen Kurswechsel im September positioniert.

Nach den restriktiven Äußerungen des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell im vergangenen Monat gingen die Fed Funds Futures mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 75% von einem weiteren großen Zinsschritt um 75 Basispunkte bei der nächsten Sitzung des Offenmarktausschusses aus. Unklar ist aber, wie lange die Geldpolitik restriktiv bleiben wird, bis die Inflation sich dauerhaft verlangsamt. Neben Washington D.C. kommt es tatsächlich mitentscheidend auf Chinas Entwicklung an. Denn China wird nach vorherrschender Einschätzung sein Wachstumsziel von 5 % deutlich verfehlen, was nicht zuletzt auf die restriktive Null-Covid-Strategie zurückzuführen ist.

Die ständig neuen Lockdowns in Millionen-Metropolen beeinträchtigen nicht nur die globalen Lieferketten, sondern auch die Binnennachfrage im Reich der Mitte. In den nächsten Tagen geben neue Daten zur chinesischen Produktion Aufschluss darüber, wie stark die Industrie betroffen ist. Eine schwächere chinesische Wirtschaft dämpft auch die Nachfrage nach Öl, trotz der Angebotsverknappung. Immerhin hilft dies, den Inflationsdruck der Energiepreise zu mildern. Davon kann insbesondere die US-Wirtschaft profitieren.

Die jüngsten Umfragen der ISM-Einkaufsmanager zeigen, dass die konjunkturelle Dynamik in den kommenden Monaten wieder anziehen könnte. Der für die USA wichtigere Benzinpreis hat zuletzt deutlich nachgegeben, der nach wie vor robuste Arbeitsmarkt dürfte den US-Konsum befördern. Wenn da nicht die US-Notenbank wäre. In der neuen Woche stehen neben den US-Inflationsdaten auch die europäischen Preisdaten im Fokus. Geht hier die Reise weiter nach oben? Die Inflation macht auch Deutschland zu schaffen.

Der ZEW-Frühindikator (Dienstag) dürfte das schwierige wirtschaftliche Umfeld im zweiten Halbjahr bestätigen. In Europa ist die geldpolitische Entscheidung der Bank of England am Donnerstag das wichtigste Makroereignis der Woche. Und in Asien werden die Anleger vor allem auf die Konjunkturdaten aus Japan achten: Industrieproduktion, Auftragseingänge im Maschinenbau. Unterm Strich sieht es trotz der jüngsten Kurserholung an den Börsen so aus, als könnte der September wieder einmal enttäuschen. Dazu können wieder steigende Inflationsraten ebenso beitragen wie eine weitere Eskalation des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise. Kurzfristige Anleger sind deshalb besser beraten, sich bis auf weiteres zurückzuhalten oder europäische Märkte zu meiden.

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