BDI warnt vor Abstieg der Industrie und fordert Milliarden-Investitionen
Berlin (Reuters) - Deutschland braucht einer Studie zufolge bis 2030 zusätzliche Investitionen von 1,4 Billionen Euro, um fitter für den internationalen Wettbewerb zu werden.
Zwei Drittel der Ausgaben sollten private Firmen und Haushalte beisteuern, den Rest der Staat, heißt es in einer Studie im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). "Das ist irre viel Geld", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Dienstag in Berlin. Aber sollte die nötige Transformation scheitern, wäre das noch teurer. Das Gutachten sei ein Weckruf der Industrie für notwendige Veränderungen. "Das Risiko einer De-Industrialisierung durch die stille Abwanderung und Aufgabe gerade vieler Mittelständler nimmt kontinuierlich zu und ist teils schon eingetreten." Rund 20 Prozent der industriellen Wertschöpfung sei bedroht.
Deutschlands Geschäftsmodell als Industrieland sei in Gefahr, warnte Russwurm. Die Rahmenbedingungen für die Industrie hätten sich drastisch verschlechtert. "Deutschland ist nahezu überall in den vergangenen Jahren zurückgefallen." Hier seien Konjunkturpakete zwar gut gemeint, würden aber wegen der strukturellen Probleme nicht weiterhelfen.
Demnach belasten etwa langfristig hohe Energiepreise, Arbeitskräftemangel, zu viel Bürokratie, mangelnde Investitionen und hohe Steuern den Standort Deutschland im internationalen Vergleich. "Die Zeit und die Wettbewerber laufen uns davon", mahnte Russwurm. "Um den Standort international fitzumachen und die grüne und digitale Transformation zu schaffen, muss die Politik ihre industriepolitische Agenda neu ausrichten." Wichtig sei hier etwa ein nationales Netz von grünem Wasserstoff. Aber bisher gebe es nur Stückwerk, kritisierte der BDI-Chef.
Mangelnde Investitionen hätten in den vergangenen 30 Jahren dazu geführt, dass es nun etwa Defizite im Glasfaserausbau, dem Bildungsniveau und der Verkehrsinfrastruktur gebe, hieß es. Nötig seien vielmehr wettbewerbsfähige Energiepreise, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie eine modernere Infrastruktur – von Wasserstoffnetzen über Verkehr bis zu Digitalem, erklärte Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), Michael Hüther.
Russwurm sagte, die Politik könne Bürokratie abbauen und Handelsabkommen schließen. Das gehe schnell und koste kein Geld.
INDUSTRIE IN DER KRISE
Das IW und die Beratungsfirma Boston Consulting Group haben die Analyse "Transformationspfade für das Industrieland Deutschland" zusammen mit gut 30 Firmen und Verbänden umgesetzt.
Seit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg kommt die exportorientierte deutsche Industrie nur schwer wieder in Schwung. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt die Krise bei Volkswagen. Denn Europas größter Autobauer prüft betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen in Deutschland, um Kosten zu senken.
Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi plädierte am Montag für Reformen in historischem Ausmaß, damit die EU wirtschaftlich mit Wettbewerbern wie den USA und China mithalten kann. Draghi fordert in seinem Bericht eine koordinierte Industriepolitik, schnellere Entscheidungswege und zusätzliche Investitionen für die EU von über 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Russwurm sagte dazu, im Großen und Ganzen sei der Draghi-Bericht "nichts Anderes als die europäische Version unserer Studienergebnisse".
(Bericht von Klaus Lauer; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)