Inflation legt unerwartet stark zu - "Nicht Beginn zweiter Teuerungswelle"
Berlin (Reuters) - Die Inflation in Deutschland zieht wegen höherer Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen überraschend kräftig an. Die Verbraucherpreise erhöhten sich im Oktober um durchschnittlich 2,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einer Teuerungsrate von 1,8 Prozent gerechnet. Im September war sie mit 1,6 Prozent noch auf den tiefsten Stand seit rund dreieinhalb Jahren gesunken. Von September auf Oktober zogen die Lebenshaltungskosten um 0,4 Prozent an.
"Autsch, das tut weh", kommentierte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel, die unerwartete Entwicklung. "Der wieder schnellere Preisanstieg betrifft also breite Gütergruppen." Andere Experten geben zugleich Entwarnung: "Das ist nicht der Beginn einer zweiten Teuerungswelle", betonte der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater.
DIENSTLEISTUNGEN KOSTEN MEHR
Tiefer in die Tasche greifen mussten die Verbraucher vor allem für Dienstleistungen wie Pauschalreisen und Versicherungen. Diese verteuerten sich im Schnitt um 4,0 Prozent im Vergleich zu Oktober 2023, nach einem Plus von 3,8 Prozent im September. "Letztlich dürfte das an den noch immer stark steigenden Löhnen liegen, die die Preise der arbeitsintensiven Dienstleistungen steigen ließen", erklärte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Nahrungsmittel kosteten 2,3 Prozent mehr, nachdem sie im September nur um 1,6 Prozent gestiegen waren. Energie verbilligte sich dagegen mit 5,5 Prozent nicht mehr so stark wie im Vormonat mit 7,6 Prozent. Die Inflationsrate ohne Nahrungsmittel und Energie - auch als Kerninflation bekannt - kletterte auf 2,9 Prozent.
"Für die EZB ist die hartnäckige Inflation im Dienstleistungssektor, in dem Lohnkosten eine große Rolle spielen, ein Warnsignal", sagte Berenberg-Chefökonom Holger Schmieding. "Sie sollte ihre Leitzinsen nicht übermäßig senken." Angesichts der geringeren Teuerung in der Währungsunion hat die Europäische Zentralbank (EZB) in diesem Jahr bereits drei Mal ihren Leitzins herabgesetzt.
Die nach einheitlichen europäischen Standards berechnete Inflationsrate kletterte im Oktober sogar von 1,8 auf 2,4 Prozent. Sie liegt damit über dem von der EZB angestrebten Wert von zwei Prozent. Das dürfte die Debatte um den künftigen Zinskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) befeuern. Bundesbankchef Joachim Nagel hat mit Blick auf die weitere Lockerung der Geldpolitik der EZB zur Vorsicht gemahnt. Er warne davor, jetzt zu hastig über den weiteren Verlauf der Zinssenkung nachzudenken, sagte er kürzlich am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank.
"Der EZB werden die Inflationsdaten nicht gefallen", meint VP-Chefvolkswirt Gitzel. "Hohe Lohnabschlüsse könnten die Inflationsrate über einen längeren Zeitraum auf erhöhtem Niveau halten." Die Bundesbank stimmt in ihrem aktuellen Monatsbericht auf eine höhere Inflation ein. "In den nächsten Monaten wird die Teuerungsrate voraussichtlich wieder ansteigen", betonte sie darin. "Der Grund hierfür sind unter anderem Basiseffekte bei Energie." So hätten die Rohölpreise im September des vergangenen Jahres einen Hochpunkt erreicht und seien danach wieder gesunken, was nun die Inflation antreiben könnte. "Auch für Nahrungsmittel ist – wegen der zuletzt gestiegenen Rohstoffpreise – mit einer höheren Inflationsrate zu rechnen." Schließlich dürfte sich die Teuerung bei Dienstleistungen noch eine Weile auf erhöhtem Niveau halten.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Reinhard Becker. - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)