Kabinett beschließt weitgehende Pflicht zur Solarstrom-Selbstvermarktung
Berlin (Reuters) - Angesichts des rasanten Ökostrom-Wachstums will die amtierende Regierung fast alle Betreiber von Wind- und Solaranlagen zum selbstständigen Vermarkten ihres Stroms zwingen.
Die Erneuerbaren machten inzwischen den Großteil der Stromversorgung aus, begründet dies die am Mittwoch im Kabinett beschlossene Reform des Energiewirtschaftsrecht (EnWG). Mittlere und kleinere Anlagen unter 100-Kilowatt-Leistung konnten bislang ihren Strom zu festen, garantierten Preisen über 20 Jahre an den Netzbetreiber verkaufen. Künftig sollen neue Anlagen bis hinab zu 25-Kilowatt-Leistung ihren Strom selbst direkt vermarkten. Dafür soll es technisch einfache Lösungen geben. Ob das Gesetz noch in dieser Wahlperiode nach dem Aus der Ampel beschlossen wird, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Gerade die FDP hat immer weitergehende Reformen des Energiemarktes verlangt.
Die Erneuerbaren haben inzwischen einen Anteil von fast 60 Prozent am Verbrauch und dieser soll bis 2030 auf 80 Prozent wachsen. Hintergrund des Gesetzentwurfes ist, dass die Erneuerbaren zwar schnell wachsen, es jedoch immer häufiger gerade in der Mittagszeit im Sommer aufgrund vieler Solaranlagen einen Stromüberschuss gibt. Dieser gefährdet die Netzstabilität und führt am Markt zu negativen Preisen. Das heißt, der Abnehmer von Strom bekommt sogar Geld, statt zu zahlen. Die Kosten werden dann auf alle Stromkunden umgelegt. Der Betreiber der Anlage erhält aber weiter die garantierten Abnahmepreise.
Strom aus Wind- und großen Solarparks wurde allerdings in der Vergangenheit bereits weit überwiegend selbst vermarktet. Denn hier haben die Betreiber die Chance, am Markt auch höhere Erlöse zu erzielen, als die garantierten Abnahmepreise. Bei einer längeren Flaute am Markt hätten sie aber auch wieder auf die Garantiepreise zurückfallen können.
Um Druck und Interesse an Selbstvermarktung oder Selbstverbrauch des Stroms zu erhöhen, soll dem Gesetzentwurf zufolge bei negativen Preisen keine Vergütung mehr gezahlt werden. Damit werden auch Speicher attraktiver, die die Energie in Zeiten höherer Preise wieder abgeben können. Die Regelungen sollen für Neu-Anlagen gelten. Es gibt Bestandsschutz für Kraftwerke, die schon laufen und die ihren Strom mit Garantiepreisen ins Netz speisen. Ausnahmen soll es zudem für sehr kleine Solar-Anlagen wie etwa auf Reihenhaus-Dächern oder für die zuletzt populären Balkon-Kraftwerke geben. Bei Neuanlagen sollen die Kosten für den für die Selbstvermarktung nötigen Mess- und Steuerungseinrichtungen für die Betreiber gering bleiben.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte angekündigt, trotz des Ampel-Aus einzelne Vorhaben noch auf den Weg zu bringen. Neben dem EnWG nannte er auch das Kraftwerks-Sicherheitsgesetz, mit dem Backup-Gaskraftwerke zum Ausgleich der schwankenden Erneuerbaren-Einspeisung gebaut werden sollen. Auch dieses Vorhaben gilt aber in der aktuelle Regierungslage als kaum noch durchsetzbar.
(Bericht von: Markus Wacket; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)