Merz und Wirtschaftsweise schieben neue Schuldenbremse-Debatte an
- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und die Wirtschaftsweisen haben eine neue Debatte über eine Reform der Schuldenbremse angestoßen.
"Ehrlich gesagt, Schuldenbremse ist ein technisches Thema, kann man so oder so beantworten", sagte der CDU-Vorsitzende am Mittwoch in Berlin auf dem Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung". "Selbstverständlich kann man das reformieren", fügte er hinzu. Im Umfeld von Merz hieß es am Nachmittag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters aber, dass auch der CDU-Chef derzeit die Schuldenbremse nicht ändern wolle. CSU-Chef Markus Söder und FDP-Chef Christian Lindner bremsen in der Frage ohnehin. Die Wirtschaftsweisen plädierten dagegen für eine flexiblere Schuldenbremse.
Hintergrund ist der erhebliche Finanzbedarf etwa für Infrastruktur-Investitionen. SPD und Grüne, aber auch Industrieverbände, Gewerkschaften und viele Ökonomen fordern deshalb seit längerem, dass man die Schuldenbremse für diesen Zweck lockern sollte. Die im Grundgesetz verankerte Regelung setzt der Aufnahme neuer Schulden durch Bundes- und Landesregierungen klare Grenzen. Es gab angesichts der Bedrohung durch Russland auch Vorschläge, Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszuklammern - oder aber sogenannte Sondervermögen einzuführen. So wurde 2022 eine Sonderkreditlinie für die Bundeswehr über 100 Milliarden Euro eingerichtet. Aber auch dafür braucht es eine Zweidrittel-Mehrheit und damit die Zustimmung der Union.
Die FDP lehnt eine Lockerung der Schuldenbremse ab. Die Ampel-Regierung war letztlich an dem Dissenz zerbrochen. SPD und Grüne wollten die Probleme im Haushalt 2025 durch eine höhere Verschuldung regeln - allerdings nach Angaben von Kanzler Olaf Scholz mit einem Weg, der keine Reform der Schuldenbremse nötig gemacht hätte. Denn ein Überschreitungsbeschluss in einer Notlage etwa mit Blick auf die milliardenschweren Ukraine-Ausgaben kann auch mit Regierungsmehrheit beschlossen werden. Diesen Weg wollte der entlassene Finanzminister Lindner aber wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht mitgehen.
Lindner verteidigte am Mittwoch im Bundestag seine Linie und setzte sich vom CDU-Chef ab: "Für uns jedenfalls ist die Schuldenbremse Garant von Generationengerechtigkeit. Sie zwingt uns, über notwendige Prioritäten zu entscheiden, statt in Verschuldung zu fliehen."
"Sobald Merz selber an der Macht ist, wird sofort die Schuldenbremse reformiert", sagte der Grünen-Haushälter Bruno Hönel zu Reuters. Denn ohne Kreditfinanzierung lasse sich der Staatshaushalt nicht finanzieren. "Da stellt jemand Parteipolitik und das eigene Machtstreben über die Interessen des Landes", sagte Hönel. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf dem Oppositionsführer vor, dass man bei der Reform viel Zeit verloren habe.
MERZ UNTERSCHEIDET ZWISCHEN SOZIALAUSGABEN UND INVESTITIONEN
CDU-Chef Merz war nach der Schuldenbremse gefragt worden. "Die Frage ist, wozu? Mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform?", antwortete Merz. "Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort Nein", betonte der CDU-Vorsitzende. "Ist das Ergebnis, es ist wichtig für Investitionen, es ist wichtig für Fortschritt, es ist wichtig für die Lebensgrundlage unserer Kinder? Dann kann die Antwort eine andere sein."
Eine Reform erscheint auch deshalb schwierig, weil CSU-Chef Söder schwer erfüllbare Bedingungen formulierte. "Die Schuldenbremse steht in der Verfassung und kann nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden", sagte Söder der "Augsburger Allgemeinen". Zunächst müssten "unsinnige Mehrausgaben" gestrichen und die Migration begrenzt werden. "Generell gilt: Bevor wir über die Schuldenbremse reden, muss der Länderfinanzausgleich geändert werden", betonte Bayerns Ministerpräsident. Bayern habe zuletzt mehr als neun Milliarden Euro an andere Bundesländer abgeben müssen. "So kann es nicht weitergehen." Damit scheint eine schnelle Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen, weil eine Reform des Länderfinanzausgleiches seit Jahren umstritten ist.
Etliche CDU-Ministerpräsidenten wollen mit Blick auf ihre Landeshaushalte, dass die noch strengeren Auflagen in der Schuldenbremse für die Bundesländer geändert werden. Diese dürfen anders als der Bund auch keine eng begrenzte Schulden machen. Vor allem Ost-Ministerpräsidenten, deren Ländern eine viel schwächere Einnahmebasis haben als etwa Bayern, dringen auf eine Lockerung.
Das aus fünf Ökonomen bestehende Expertengremium, das die Regierung berät, plädierte erneut für eine flexiblere Schuldenbremse. Sie schlagen zwei Änderungen vor. Erstens sollte es eine Übergangsphase nach Schocks wie der Corona-Pandemie geben, in denen die Regeln ausgesetzt wurden. In dieser Phase müsste das strukturelle Defizit zwar stetig reduziert werden, könnte aber noch über den normalen Werten liegen. Außerdem sollte es eine Staffelung in Abhängigkeit von der Schuldenquote geben. Je höher diese ausfällt, desto geringer sollte das zulässige strukturelle Defizit sein. Maximal sollte es ein Prozent der Wirtschaftsleistung sein, bei einer sehr hohen Schuldenquote aber wie bisher nur 0,35 Prozent.
(Mitarbeit: Christian Krämer, Maria Martinez; redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)