Scholz: Wir brauchen eine moderate Reform der Schuldenbremse

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- von Andreas Rinke und Christian Götz

Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich für eine begrenzte Reform der Schuldenbremse ausgesprochen.

"Wir werden sie nicht wegkriegen. Wir wollen sie auch gar nicht wegkriegen. Aber wir wollen, dass sie besser handhabbar ist", sagte der SPD-Politiker am Freitag auf einer Veranstaltung von sozialdemokratischen Kommunalpolitikern in Berlin. Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger dringt wegen der Sorge um eine Sperrminorität von AfD und BSW sogar darauf, eine Reform noch vor den Wahlen anzugehen. Finanzminister Jörg Kukies dämpfte jedoch Erwartungen, dass große neue Spielräume im Bundeshaushalt geschaffen werden könnten - dafür rückt die Idee eines neuen milliardenschweren Sondervermögens für Investitionen wieder in den Vordergrund.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte die Diskussion vor wenigen Tagen mit der Aussage angeheizt, dass man die Schuldenbremse, die die Kreditaufnahme von Bund und Ländern eng begrenzt, "natürlich" ändern könne. Es komme auf den Zweck an. Bisher hatten die FDP - noch als Teil der Ampel-Regierung - sowie die CDU/CSU-Bundestagsfraktionen eine Reform verhindert. SPD, Grüne, Industrieverbände, Gewerkschaften sowie etliche CDU-Ministerpräsidenten wollen dagegen Öffnungsklauseln für Investitionen und die Korrektur des völligen Verschuldungsverbots der Bundesländer.

Der CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg warnte davor, die Schuldenbremse aufzugeben. Staaten wie Frankreich oder Italien, die sich höher verschuldet haben, zahlten weit höhere Zinsen als Deutschland und hätten damit viel weniger Gestaltungsspielraum, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Denkbar ist allerdings eine Ergänzung der Schuldenbremse für die Bundesländer. Ein begrenzter Verschuldungsspielraum für die Länder war ja ursprünglich auch geplant. Er ist damals nur nicht umgesetzt worden. Das könnte man durchaus korrigieren."

In diese Richtung geht auch ein im Bundesrat eingebrachter Entschließungsantrag Mecklenburg-Vorpommerns. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die Schuldenbremse so zu reformieren, "dass nicht nur der Bund, sondern auch die Länder in die Lage versetzt werden, Investitionen unter Rückgriff auf Kredite zu finanzieren". Zudem soll neben dem sogenannten Sondervermögen Bundeswehr ein weiteres Sondervermögen Infrastruktur geschaffen werden, das von Bund und Ländern gemeinsam genutzt werden kann.

Diese Sondervermögen favorisieren auch andere Landesregierungen. Es könne präziser aufgeführt werden, wofür neue Schulden aufgenommen werden dürfen - also etwa für die Reparatur von Brücken und Schienenwegen oder neue Waffensysteme. In dem Antrag Mecklenburg-Vorpommerns wird damit argumentiert, dass der Industrieverband BDI den öffentlichen Investitionsbedarf in den kommenden zehn Jahren auf 400 Milliarden Euro schätzt. Zudem wird auf die Notwendigkeit verwiesen, verstärkt in die nationale Sicherheit zu investieren. "Es ist unrealistisch und volkswirtschaftlich schädlich, die dringend und drängend notwendigen Investitionen ohne die Aufnahme von Krediten umsetzen zu wollen", heißt es.

Umstritten ist die Frage, wie schnell eine Reform gehen könnte. "Ich wäre sogar bereit ..., dass wir uns noch sehr schnell über diese Frage drüber beugen, denn am Ende des Tages brauchen wir dazu ja eine Zweidrittelmehrheit", sagte Bundesratspräsidentin und saarländische Ministerpräsidentin Rehlinger. Derzeit gebe es eine so breite Mehrheit, dass es keine Verhinderungsmehrheit dagegen gäbe. Sowohl für eine Änderung der Schuldenbremse als auch eine Einrichtung neuer Kreditlinien, die für spezielle Nutzungen im Grundgesetz verankert werden müssten, ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.

Ein Argument für Eile ist die Befürchtung, dass AfD und BSW nach der Bundestagswahl eine Sperrminorität im Bundestag erreichen könnte. Der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Dennis Radtke, äußerte gegenüber Reuters-TV aber Zweifel, ob eine Reform angesichts der nötigen Grundgesetzänderung noch vor dem Wahltermin am 23. Februar gelinge.

Scholz verwies auf den künftigen hohen Finanzbedarf, da der Verteidigungsetat 2028 auf rund 80 Milliarden Euro steigen müsse, weil man das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auch künftig einhalten wolle. "Aber es kommen dann so ab dieser Zeit auch noch ganz viele andere Dinge auf uns zu", warnte der Kanzler und verwies auf die nötige Rückzahlung der Schulden aus der Bekämpfung der Corona-Krise, der hohen Energiepreise aufgrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine und dem Gaslieferstopp sowie aus dem Sondervermögen Bundeswehr.

"Die Frage ist doch, geht das auf Kosten von all dem, was wir an Zukunft und Zusammenhalt in Deutschland haben wollen?", fragte Scholz. Er verwies darauf, dass sich die Entwicklung von Deutschland beim Schuldenstand immer weiter von denen der anderen großen Volkswirtschaften entferne. Deutschland gehe auf eine Gesamtverschuldung von 60 Prozent herunter, während andere G7-Staaten wie USA, Japan, Frankreich, Italien oder Großbritannien weit darüber lägen. Man dürfe deshalb die Verteidigungsausgaben nicht auf Kosten von Investitionen oder schlechteren Leistungen für Rentner "oder sonst was" finanzieren. "Und deshalb sage ich, ja, wir brauchen eine moderate Reform der Schuldenbremse."

Finanzminister Kukies warnte im "Handelsblatt" vor zu großen Erwartungen an eine "moderate, zielgerichtete Reform". Denn die Kreditaufnahme im Bundeshaushalt werde auch durch EU-Vorgaben begrenzt. "Selbst wenn wir keine Schuldenbremse hätten, wären wir immer noch den europäischen Schuldenregeln unterworfen", sagte Kukies. "Auch die erfordern eine Priorisierung, weil sie den Anstieg der staatlichen Ausgaben begrenzen und eine solide Haushaltspolitik verlangen."

(Bericht von Andreas Rinke, Christian Götz; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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