FPÖ soll in Österreich Regierung bilden - Kickl könnte Kanzler werden
- von Francois Murphy und Klaus Lauer
Wien/Berlin (Reuters) - In Österreich könnte die rechte FPÖ erstmals eine Regierung führen.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte am Montag, er habe FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einem Gespräch in der Wiener Hofburg beauftragt, Koalitionsgespräche mit der konservativen ÖVP aufzunehmen. Ziel sei die Bildung einer Bundesregierung. "Herr Kickl traut sich zu, hier im Rahmen von Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden - und er will diese Verantwortung." Der FPÖ-Chef werde ihm laufend über den Fortgang der Gespräche berichten, sagte der Bundespräsident und ehemalige Grünen-Politiker. "Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht." Er werde weiter darauf achten, "dass die Prinzipien und Regeln unserer Verfassung beachtet und eingehalten werden".
Zuvor waren Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ ebenso gescheitert wie Dreier-Gespräche mit den liberalen Neos. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hatte am Samstag seinen Rücktritt angekündigt.
FPÖ KÖNNTE AUFSTEIGEN - VOM JUNIORPARTNER ZUR KANZLERPARTEI
Kickl äußerte sich zunächst nicht, mit einem Statement wurde eher am Dienstag gerechnet. Der 56-jährige, gebürtige Kärntner hatte im Wahlkampf versprochen: "Als Volkskanzler werde ich vom ersten Tag an alles tun, um den Österreichern ihre Freiheit zurückzugeben." Kritiker werfen ihm vor, er nutze Nazi-Sprache, da auch Adolf Hitler so genannt wurde. Kickl weist dies zurück.
Nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl im September könnte die rechte FPÖ mithilfe der konservativen ÖVP nun erstmals den Kanzler stellen. Grund dafür ist die 180-Grad-Wende der ÖVP. Denn die Volkspartei hatte - wie die SPÖ - nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit der FPÖ und ihrem umstrittenen Chef Kickl strikt abgelehnt. Doch nach dem Scheitern der Gespräche mit SPÖ und Neos kündigte der neue ÖVP-Chef Christian Stocker am Sonntag an, man sei nun bereit zu Koalitionsgesprächen mit der FPÖ - "aus Verantwortung für Österreich".
Dies sei die neue Situation, sagte Van der Bellen und betonte, eine der wichtigsten verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundespräsidenten sei es, "dafür zu sorgen, dass unser Land eine arbeitsfähige Bundesregierung hat". Dabei gebiete der Respekt vor dem Wählervotum, dass das Staatsoberhaupt - unabhängig von bestimmten Wünschen und Vorstellungen - "die Mehrheit achtet, die sich im Nationalrat findet oder eben nicht findet".
Gemeinsamkeiten gibt es zwischen ÖVP und FPÖ in mehreren Fragen, etwa bei einem strikten Kurs zum Thema Einwanderung und Abschiebungen. Zudem plädieren beide Parteien für eine angebots- und wirtschaftsfreundliche Politik mit Steuersenkungen, müssten aber mit einer schwierigen Haushaltslage zurechtkommen. Kritisch dürfte sein, dass die FPÖ Hilfen für die Ukraine ebenso ablehnt wie Sanktionen gegen Russland. Das Wahlprogramm der FPÖ trug den Titel "Festung Österreich, Festung der Freiheit".
SPÖ-Chef Andreas Babler erklärte auf X, nun sei klar, was dem Land drohe: "Blau-Schwarz mit einem radikalen Kürzungskurs." Van der Bellen sagte, Österreich sei in einer Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit. "Unser Budget muss saniert werden. Nicht alle Maßnahmen werden populär sein, aber sie werden umgesetzt werden müssen."
Die FPÖ war seit dem Jahr 2000 bereits dreimal als Juniorpartner in einer ÖVP-geführten Bundesregierung vertreten. Allerdings hielt keines der Bündnisse bis zum Ende. Kickl selbst war von Dezember 2017 bis zum Zusammenbruch der Koalition im Mai 2019 Bundesinnenminister. Diesmal käme es wohl zu einem Rollentausch - mit den Konservativen als Juniorpartner und der FPÖ als Kanzlerpartei. Denn die Freiheitlichen legten bei der Wahl im September um fast 13 Prozentpunkte zu und holten mit knapp 29 Prozent die meisten Stimmen. Die ÖVP hingegen verlor gut 11 Prozent und kam nur auf rund 26 Prozent. Die SPÖ erreichte etwas über 21 Prozent.
PROTESTE GEGEN FPÖ-GEFÜHRTE REGIERUNG - "NAZIS RAUS"
Nach dem Wahlsieg der FPÖ hatte Van der Bellen den Freiheitlichen beim Regierungsauftrag noch einen Korb gegeben. Er wollte dem Land "leere Kilometer" ersparen, wie er jüngst sagte und begründete dies mit der damaligen Weigerung von SPÖ und ÖVP, mit den Rechtspopulisten zu koalieren.
Während des Treffens von Van der Bellen mit Kickl sammelten sich hunderte Demonstranten vor der Hofburg und protestierten gegen eine FPÖ-geführte Regierung. Sie hielten Transparente wie "Nie wieder Volkskanzler", "Omas gegen Rechts" und "Hetze tötet" in die Luft. Als Kickl die Hofburg verließ, gab es Pfiffe und viele riefen "Nazis raus".
(Bericht von Francois Murphy, Klaus Lauer, Christine Uyanik und Anja Guder, redigiert von Sabine Ehrhardt - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)