Angeblicher Bilanzskandal: Wenn GE groß betrogen haben soll … was ist dann mit Siemens?
General Electric sieht sich mit einer beinharten Short-Attacke konfrontiert. Über Monate wühlte sich ein Team von spezialisierten Bilanzexperten durch die Zahlen des Konglomerats und fasste die Erkenntnisse in einem 175-seitigen Bericht zusammen.
Nun ist es ja so, dass die Geschäftsbereiche von GE und Siemens auch nach über 100 Jahren Rivalität noch immer große Überlappungen aufweisen: Energietechnik, Strominfrastruktur, Industriedigitalisierung, Windfarmen und Krankenhausausrüstung. GE hat eine starke Europabasis und Siemens ist in den USA prominent vertreten.
Aufgrund der vielen Parallelen könnte es durchaus sein, dass auch der große Konkurrent aus München die eine oder andere Leiche im Keller hat. Lass uns also lieber jetzt einen genaueren Blick darauf werfen.
Darum geht’s
Der am 15. August veröffentlichte GE Whistleblower Report von Forensic Decisions PR LLC schlägt weiterhin große Wellen. Konzernvertreter weisen die Anschuldigungen natürlich strikt zurück und sehen systematische Fehler. Andere Beobachter meinten, dass viele Punkte zwar richtig seien, aber keine aktuelle Relevanz mehr hätten. Schließlich heiße der Chef seit 2018 Larry Culp und der habe sich über viele Jahre einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. Außerdem sei der Kursverfall so stark gewesen, dass vieles davon bereits eingepreist sei.
Wie immer bei solchen Attacken muss natürlich auch die Intention hinterfragt werden. Die Experten haben die ganze Arbeit ja nicht aus mildtätigen Motiven heraus betrieben. Vielmehr geben sie freimütig zu, dass ein Investor vorab Einsicht bekommen hat. Dieser hat sich natürlich mit Optionen oder Derivaten noch vor der Veröffentlichung entsprechend eingedeckt und wird die Firma prozentual an den erhofften Gewinnen beteiligen.
Auch einige Mitglieder der Firma haben sich gegen die Aktie von GE positioniert. Nachdem der erste Schock verdaut war, war GE am 20. August noch 73 Mrd. US-Dollar wert und damit etwa 10 % weniger als Siemens, deren Aktie über die letzten Wochen auch nicht gerade brillierte.
Betrifft Siemens, was GE vorgeworfen wird?
GE und Siemens beobachte ich schon seit vielen Jahren. Früher habe ich mich immer darüber gewundert, dass die Amerikaner deutlich bessere Rentabilitäts- und Produktivitätskennzahlen aufwiesen. Die kreative Buchführung hat da sicherlich eine Rolle gespielt, denn wie wir heute wissen, waren viele Werte aufgebläht, weshalb seit Jahren eine umfassende Restrukturierung läuft und der Aktienkurs in mehreren Schüben brutal abgestürzt ist.
Versicherungen
Ein großer Teil der verbleibenden angeblichen Bilanzunregelmäßigkeiten bezieht sich nun auf das Versicherungsgeschäft, insbesondere bereits mehr als zehn Jahre zurückliegende Rückversicherungs-Deals im Bereich der Altersvorsorge und Pflege. Die Forensiker sehen hier eine massive Unterdeckung, welche GE über die kommenden Jahre mit vielen Milliarden US-Dollar belasten wird.
Siemens ist in diesem Bereich nicht aktiv. Ein ähnliches Phänomen könnte jedoch die Unterdeckung der Pensionskassen darstellen, welche aufgrund der schwachen Verzinsung immer mal wieder diskutiert wird. Pensionsverpflichtungen werden von Siemens selbst auch klar als ein Risikofaktor genannt. Schon kleine Änderungen der Einflussfaktoren sowie Schwankungen des Planvermögens wirken sich im Milliardenbereich aus.
Ölfeldausrüstung
Des Weiteren behaupten die Analysten, dass im Zuge der Fusion der Öl- und Gasausrüstung mit Baker Hughes gleich 9 Mrd. US-Dollar Verlust versteckt wurden, indem sie aus der konsolidierten Bilanz herausgezogen wurden.
Auch Siemens ist gut darin, Segmente zu verselbstständigen und dann nur noch „at-equity“ in der eigenen Bilanz zu führen, also im Wesentlichen nur noch den Buchwert oder Börsenwert und die Dividenden zu erfassen. Aktuell steht ja die Abspaltung von Siemens Powerhouse an, deren Aktivitäten zum Teil in direkter Konkurrenz zu Baker Hughes stehen und zuletzt einen großen Restrukturierungsaufwand erforderten.
Umstellung der Darstellung
Ein Trick, um Bilanztricks zu vertuschen, besteht darin, alle paar Jahre die Struktur zu ändern. Dadurch lassen sich keine vergleichbaren Zeitreihen über mehrere Jahre bilden, was die Analyse erheblich erschwert. GE habe davon umfassend Gebrauch gemacht und damit den Markt getäuscht.
Was Siemens angeht, ist nicht zu ignorieren, dass auch dort nach dem Umbau stets vor dem Umbau ist. Großakquisitionen, Ausgliederungen und eine Neugestaltung der Segmente erschweren es selbst engen Beobachtern, die Übersicht zu behalten. Gerade Anfang April startete die neue Struktur der „Vision 2020+“ mit drei Operating Companies und drei Strategic Companies.
Eine Frage des Vertrauens
Ein Nachteil von Konglomeraten wie GE und Siemens ist definitiv, dass deren Komplexität besonders viel Spielraum für die kreative Buchführung lässt. Bei GE gab es früher nachweislich Verfehlungen und weitere gigantische Probleme könnten noch vor der Tür stehen, wenn man dem Report Glauben schenken möchte.
Aber dass Siemens grundsätzlich die Möglichkeit hat, einige Leichen im Keller zu verstecken, bedeutet natürlich nicht, dass deren Finanzabteilung tatsächlich solche krummen Dinger dreht. Das aktive Portfoliomanagement und die kontinuierlichen Restrukturierungsmaßnahmen gehören einfach dazu und sind eigentlich nichts Schlechtes. Zwar ist es schwierig, immer alles im Detail nachzuvollziehen, aber die Finanzberichterstattung erschien zumindest mir bisher transparenter als bei GE.
Letztlich wird uns der Fall GE lehren, dass wir Anleger nicht blind auf die präsentierten Zahlen vertrauen sollten, schon gar nicht auf die angepassten Werte, die zwar Vergleichbarkeit herstellen, aber in der Regel deutlich positiver als die Realität ausfallen. Es gilt also, genauer hinzuschauen, wenn Diskrepanzen erkennbar werden, für die es keine offensichtliche Erklärung gibt.
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Ralf Anders partizipiert über ein von ihm betreutes Indexzertifikat an der Aktienentwicklung von Siemens. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.
Motley Fool Deutschland 2019
Foto: The Motley Fool