Die heile Welt des Wolfgang Grupp

HANDELSBLATT · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Da sitzt man nicht mal fünf Minuten bei Pflaumenkuchen und Sachertorte zusammen, und schon kann sich der Hausherr über einen ereifern. Eine Stunde Verspätung mit der Bahn ins Allgäu und dann weiter mit einem Mietauto bis hinauf zum Jagdhaus: Das wäre unter seiner Ägide nicht passiert, sagt Wolfgang Grupp. Reine Verschwendung von Personalstunden, nichts anderes sei es doch, Mitarbeiter mit der Bahn reisen zu lassen. Völlig unverständlich. In seiner Firma, bei Trigema, jedenfalls gäbe es das nicht: entweder Dienstwagen oder gleich Firmen-Helikopter. Vom Firmensitz in Burladingen aus der Schwäbischen Alb nach Düsseldorf, nur mal als Beispiel, bräuchte man damit nur eine Stunde und 25 Minuten.

Fünf Minuten also im Jagdhaus, im Wohnzimmer mit dem wuchtigen Gebälk, den Hunderten Jagdtrophäen an der Wand, den Flinten hinter Glas, am Esstisch mit Tischdecke mit dem Monogramm des Hausherrn, „WG“, das auch die Papierservietten ziert, fünf Minuten, und Wolfgang Grupp ist mitten in seinem Thema: Unternehmen verantwortlich führen. Mit Polemik dazu fällt er immer wieder in den Fernseh-Talkshows auf. Eingeladen ist er da meist als Vertreter des Mittelstands, dabei hat er kein Verbandsamt inne, aber er kann sich telegen aufregen, über „die Lumpen, die Gier und den Größenwahn“.

Dazu kommt ein seit über einem Jahrzehnt fast unveränderter Werbespot mit einem scheinbar sprechenden Schimpansen mit Hemd und Brille. Grupp selbst tritt darin auf, zeigt mit ausladender Geste seine Fabrik, die knapp 1200 Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze er garantieren will, die Produktion nur in Deutschland. Der Spot fällt auf, weil er billig wirkt, weil der Chef des Freizeitkleidungs-Herstellers mit Uhrenkette und Einstecktuch in der Fabrik auf die Zuschauer wie die Karikatur eines Firmenpatriarchen wirken muss. Auch in der Boulevard-Presse hat Grupp große Auftritte.

Eigentlich lebt er wie Tausende wohlhabende Deutsche auch. Nur gibt sich sein Butler britisch, seine Villa auf der Schwäbischen Alb hat ein Sylter Reetdach, seinen 70. Geburtstag feierte er kürzlich mit allen Mitarbeitern und einem Schimpansen. Die jüngsten Berichte handelten vom neuen, 600 Quadratmeter großen Familiengrab neben dem Burladinger Friedhof, auf dem er schon seine Grabplatte mit Inschrift hat anbringen lassen. Zu allem Überfluss hat er sich, seine Frau Elisabeth und die beiden Kinder, Wolfgang und Bonita, Jahrgänge '89 und '91, vom SWR-Fernsehen für eine Doku-Soap begleiten lassen - unter dem Titel „Der König von Burladingen“.

„Ich bin doch nicht besoffen, ich bin doch normal“

Es führt also kein Weg drum herum: Nachdem Grupp ausführlich seine Idee erläutert hat, persönlich haftenden Inhabern von Firmen die Hälfte der Einkommensteuer zu erlassen, um durch mehr Verantwortung „Gier und Größenwahn“ zu stoppen, muss man ihn fragen: Hat er keine Sorge, skurril zu wirken? „Ist doch lächerlich, das ist doch alles Presse, ich bin doch nicht besoffen, ich bin doch normal“, sagt er zunächst, bis man nachhakt. Ein Wolfgang Grupp mache nichts umsonst, meint er dann und spricht über die kostenlose Werbung, die ihm die Berichte bringen, die Marotten. „Der Bekanntheitsgrad von Trigema ist nicht nur Werbung, sondern auch unbezahlte PR, egal ob das der Butler war, der Hubschrauber oder der Swimmingpool, der 45 Meter lang ist. Wenn man schreibt, der hat ein viereckiges Schwimmbad, das liest doch keiner. Ich bringe das in den Zusammenhang mit: garantiert Arbeitsplätze, hat noch nie jemanden entlassen - den Werten, die dahinterstehen.“

Diese Werte, die kann er am besten draußen zeigen, in seinem Wald. Also geht man zum Hinterausgang, zur Garage und steigt in seinen Lada mit Allradantrieb. Fährt über Waldwege, passiert funkgesteuerte Tore bis hin zur Alpe, dem Unterstand für die vier Traktoren. Dann zu Fuß weiter in den Wald. Wolfgang Grupp redet über Verantwortung, kommt auf Adolf Merckle, den Gründer von Ratiopharm. Ein königlicher Kaufmann, findet Grupp, der dann „in der Gier“ sein Vermögen verspekuliert habe. Merckle habe sich selbst gerichtet, formuliert Grupp. Dass sich der Unternehmer 2009 umgebracht hat, als die Firma verspielt schien, nötigt Grupp Respekt ab. Über die anderen aber, die keine Verantwortung übernehmen, die Banker, die Versager vom gescheiterten Daimler-Chrysler-Größenwahn, erregt er sich gleich wieder so lautstark, dass eine recht große Gruppe Rotwild ins Unterholz flieht. Grupp hält inne, zeigt auf ein paar Kötel am Waldboden: „Losung“, bemerkt er waidmännisch.

Denn eigentlich will Grupp ja zeigen, weshalb er ein „Dümpler“ ist, wie er sagt. Weshalb die letzten veröffentlichten Bilanzen im Bundesanzeiger vor der Umfirmierung zum eingetragenen Kaufmann nur Stagnation zeigen: Grupp spricht gerne von einem Umsatz von 100 Millionen Euro, doch konsolidiert sind es netto nur 50 Millionen, davon mehr als zehn von den paar Tankstellen, die Grupp nebenbei betreibt. Der Rest kommt aus inzwischen 46 eigenen Geschäften und aus der Produktion. Weil Grupp als so ziemlich einziger in der Branche noch Stoffe selbst webt, färbt und vernäht, arbeiten so viele Mitarbeiter in Deutschland für so wenig Umsatz. Ein bis zwei Millionen Euro Gewinn kamen in den letzten veröffentlichten Bilanzen dabei rum, stagnierend, dümpelnd eben.

Die Marke, vor einem Vierteljahrhundert noch bei mehreren Bundesliga-Vereinen auf der Brust, hat inzwischen nur noch einen Werbeträger: Wolfgang Grupp. 45 Jahre lang habe er keinen Verlust geschrieben, dass man anderes gelesen hat, schiebt Grupp auf Sonderabschreibungen, die will er operativ nicht gelten lassen.

Das Entrée von Grupps Berghütte wirkt wie ein Luxus-Kuhstall

Jetzt also rückt Grupps neuester Bau ins Blickfeld: die Berghütte. Grupp schließt auf. Das Entrée sieht aus wie die Luxus-Version eines Kuhstalls, mit leeren Koppeln und einer besenreinen Güllerinne. Wegen der Baugenehmigung habe er einen Stall einbauen müssen, dass der unbenutzt ist, sei egal. Dahinter Wohnräume mit Familienfoto, dann die Terrasse. Ein Blick ins Tal, Grupps Tal. Er weist in die Landschaft, bescheidener als im Werbespot mit dem Affen, selbstverständlicher. Der Wald gehört ihm. In allen Richtungen. Bis zu den Bergkämmen. Wahrscheinlich eines der schönsten Stücke Deutschlands, das es für Geld gibt, zusammengekauft in Jahrzehnten von den Bergbauern. Voller Rotwild, mit grünen, bestens gepflegten Wiesen. Warum, fragt Grupp, warum sollte er das aufs Spiel setzen, nur um mehr Umsatz zu machen. Hat er nicht genug? Muss er wachsen? Was soll er in Amerika, was in Asien?

Und überhaupt, sagt er, einmal in Fahrt, dann müsste er ja Kontrolle abgeben. Und könnte nicht mehr alle Mitarbeiter persönlich kennen. Wenn er, wie heute, Urlaub hat, dann fahre er fast täglich in seinen Laden im Tal. Die Mitarbeiterinnen arbeiteten alle seit Jahren dort. Ob man das mal sehen will? Man will.

Ins Tal hinab geht es mit einem anderen Auto, einem der beiden identischen zweisitzigen Mercedes-SL aus der Garage. Ein kleines Marienbild unter dem Lenkrad schützt den Wagen auf der Fahrt. Grupp spricht jetzt über seine „Firmenfamilie“. Er ist darin so etwas wie der Versorger, der Verantwortliche für über tausend Lebensläufe. Anders als in echten Familien gibt es keine schwarzen Schafe, denn die sortiert Grupp aus. Gerade erst hat er einen Arbeitsgerichtsprozess gegen eine diebische Mitarbeiterin verloren, weil der Betriebsrat nicht richtig informiert wurde. Grupp empört sich: Das sei doch kein Rechtsstaat mehr, wenn er nicht recht bekomme.

Im Geschäft schauen die Verkäuferinnen nicht sonderlich überrascht, als ihr Chef hereinstolziert. Er zeigt sein Sortiment: T-Shirts, Jogginganzüge, ein paar Regenjacken, Sweatshirts. Er schreibe am Wochenende, gern auf dem Jagdhaus, handschriftlich auf, wie viele Teile in welchen Farben produziert werden müssen, erzählt er. Das geht nach Gefühl, Beobachtung und Erfahrung. Wo die Konkurrenz den Verkauf per Computer verfolgt und entsprechend nachproduziert, nähen die Trigema-Mitarbeiter auf Lager.

Die Trigema-Produktpalette reicht nicht aus für Kollektionen

Die Auswahl in dem Laden folgt sichtlich den Produktionsmöglichkeiten in Grupps Fabriken. Dabei kommen keine ganzen Kollektionen heraus, es gibt eben nur Strick- und Wirkwaren. Also keine Schuhe zu den Sporthosen. Keine Jeans zu den Sweatshirts. Keine Gürtel, keine Oberhemden, nichts, was allzu viele Arbeitsschritte erfordert. Die Kleidung hängt dicht gedrängt, von Markeninszenierung keine Spur.

Das erinnert an die Ursprünge der Marke als Lieferant für Kunden wie Aldi, denen Grupps „Produktion nur in Deutschland“ irgendwann zu teuer wurde. Deshalb verkauft Grupp inzwischen hauptsächlich über die eigenen Läden und einen Onlineshop. Ein Plakat neben der Ladentür zeigt: Die Läden, Grupp nennt sie „Test-Geschäfte“, liegen in mietgünstigen Gewerbeparks und in der Peripherie von Urlaubsorten, bieten die Kleidung zu einem „Fabrikpreis“, der in etwa die Hälfte eines angeblich empfohlenen Verkaufspreises ausmacht, und trotzdem über den Preisen vergleichbarer Handelsmarken liegt.

Nur eine Laden-Ecke setzt sich ab. Ein grünes Logo weist auf „Trigema Change“ hin: Mode in Bioqualität - und in ungewohnten Schnitten. Schlichter, schmaler, modischer. Was ist das? Für Grupp ein kleiner Triumph: Eine Design-Absolventin aus Berlin schickte ihm ihre Abschlussarbeit, verbunden mit einem Konzept, das Trigema verändern sollte, für neue Kunden. Grupp greift ein Sweatshirt mit auffälliger Naht in der Mitte. „Ich frage Sie: Würden Sie das etwa tragen?“, poltert er. Aber er habe die Dame machen lassen, wenn sie es doch angeblich besser weiß. Er hat sie eingestellt. Alle Ideen durfte sie natürlich nicht umsetzen, aber einige.

„Also: Würden Sie das etwa kaufen?“ Eher nicht, wer das Shirt trägt, sollte wohl um die 20 sein, leicht definierte Muskeln wären von Vorteil. Die Kunden im Laden haben keine definierten Muskeln, im Gegenteil, fachmännisch taxiert Grupp einen Mann im mittleren Alter auf Größe XXL. Ein Stammkunde, er will wieder das T-Shirt haben, das er gerade trägt. Von Juni bis August sei das Modell sein Standardhemd, viel besser als Adidas, lobt der Mann den Produzenten.

Das Experiment mit der jungen Mode hat Grupp rasch beendet

Überhaupt wird Grupp von allen seinen Kunden erkannt, als er die Kasse übernimmt, kassiert, EC-Karten einliest. Unaufgefordert erzählen die Leute, dass sie aus Bremen kommen oder aus Kassel, auf der Durchreise sind, regelmäßig bei Trigema Station machen. Ein kleines Mädchen, es ist vielleicht acht oder neun, fragt wie auf Bestellung, woher sie den Mann da wohl kennt. Aus dem Fernsehen, sagen die Eltern, und Grupp schaut milde.

Wenn das Kind fünf Jahre älter ist, wird es sicher nicht mehr Trigema-Sachen tragen wollen, denkt man, denn das Experiment mit der jungen Mode hat Grupp rasch abgebrochen. Die Berliner Designerin hat er rausgeworfen, ihren Vertrag nicht verlängert. Natürlich habe sich das Zeug nicht verkauft, sagt er, die Idee, Läden in Berlin-Mitte zu gewinnen, sei Unsinn gewesen. Das habe er vorher gesagt, das habe sich bewiesen. Aber man solle ja nicht sagen, er hätte der Dame nicht den Versuch erlaubt. Grupp wollte sich bestätigen, dass sein Gespür noch stimmt.

Ob er American Apparel kennt, die Kette, die in den USA zum Trend geworden ist, weil sie nur in Kalifornien produziert? Deren Marke seine Ex-Designerin so offensichtlich zum Vorbild hatte? Grupp winkt ab. In so einem Laden war er nie. Interessiert ihn nicht. Überhaupt kennt er, der doch so gerne über die Branche und den Mittelstand doziert, wenig Mitstreiter. Gerhard Weber, der Grupps Habitus bis in einzelne Formulierungen ähnelt und der Gerry Weber zum Börsenliebling gemacht hat? Nie getroffen. Die Seidenstickers, die Hemden in einer eigenen Fabrik in Vietnam fertigen? Er kennt nur den Vater, von vor 30 Jahren. Hugo-Boss-Chef Dietrich Lahrs, der immer neue Läden in China eröffnet? Nein. Die Manager hinter dem Wachstum von Tom Tailor? Ebenso wenig.

Grupp weist lieber auf die Unternehmer-Kollegen, die Textiler, die in Burladingen seine Nachbarn waren. Haben Leute entlassen, Arbeit verlagert, sind heute alle pleite, sagt er. Lassen sich deshalb nicht mehr sehen.

Grupp hingegen hat gut zu tun: Jetzt hilft er einer Mitarbeiterin, die nicht weiß, wohin mit der neuen Lieferung weißer Feinrippunterhosen. Zurück ins Lager, gibt Grupp Anweisung, die alten müssen erst verkauft werden.

Das Prinzip ist Sparsamkeit - trotz Butler und Helikopter

Das sei doch das Wichtigste, findet Grupp: gebraucht zu werden. Auch mit 70, sagt er auf der Rückfahrt zum Jagdhaus. Wenn er die Macht an einen externen Manager abgeben müsste, dann hätte er versagt. Seine Kinder beenden gerade ihr Studium in London. Sie sollen einmal, irgendwann, mit der Firma machen können, was sie für richtig halten. Die Prinzipien dazu hat er ihnen mit auf den Weg gegeben.

Zum Beispiel Sparsamkeit, trotz Helikopters und Butlers: In der Garage stehen bei der Rückkehr schwarze Benzinkanister aufgereiht. Die lässt sich Grupp von seinen Tankstellen liefern, so wie auch jede Filiale mit der Kleidungslieferung Kerosin bekommt, damit Grupps Hubschrauber dort auftanken kann. Das spare Geld, so Grupp. Schauen Sie mal hier: Hinter der Hintertür steht ein Faxgerät. Dafür nehme er die Rückseiten der alten Inventarlisten, sagt Grupp. Und Brot, esse er auch, wenn es schon alt ist. Das lebe er den Hausangestellten vor. Er habe noch nie Brot weggeschmissen.

Vom Kleinen aufs Große, wie Burladingen so die Welt: Das Beste wäre, philosophiert Grupp zum Abschied, wenn alle in der Wirtschaft so handeln wie er, Grupp. Warum müssten denn die Aldi-Brüder auch noch im Ausland den Händlern Konkurrenz machen? Besser seien doch Tausende Grupps, sagt Grupp. Kein Größenwahn, keine Gier, dem anderen nichts wegnehmen, kein Zwang zum Wachstum. Dafür viel Verantwortung.

Bald wird es dämmern. Wolfgang Grupp will noch auf den Hochsitz. Zehn Böcke hat er diese Saison schon geschossen, vielleicht erwischt er heute den elften. Auf jeden Fall wird er einen grandiosen Blick haben, auf sein Tal, seinen Wald, seine heile Welt.

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