Terminkurven intensiv analysieren
Börsen-Zeitung, 19.10.2013
Wer ein Auto kauft, kauft immer auch eine Vielzahl von Rohstoffen: Der Käufer eines neuen Porsche Panamera in seiner Hybrid-Version erwirbt rund 1,6 Tonnen Stahl und Aluminium, 345 Kilogramm Gummi und Kunststoffe, 52 Kilogramm Glas und dazu 48 Kilogramm Blei, Zink Kupfer und Keramik-Bauteile. Allein in diesem Jahr sollen Schätzungen von LMC Automotive zufolge weltweit rund 82,7 Millionen Pkw verkauft werden, Tendenz stark steigend - im Jahr 2009 waren es nur 64,7 Millionen Pkw.
An Weltwirtschaft gekoppelt
Das Beispiel zeigt: Wenn die Weltwirtschaft wächst, wächst auch die Rohstoffnachfrage. Rosige Aussichten für Rohstoffinvestoren also? Ein Blick auf die Entwicklung der Rohstoffpreise seit April dieses Jahres zeigt, dass die Sache komplexer ist: Denn wenn das Wachstum sich moderat abschwächt oder politische Risiken zunehmen, geraten auch die Rohstoffpreise stark in Bewegung - so fiel beispielsweise der Goldpreis innerhalb von drei Monaten von knapp 1 600 Dollar/Feinunze Anfang April auf unter 1 200 Dollar/Feinunze Ende Juni - der stärkste Preissturz seit 90 Jahren. Und der Ölpreis ist angesichts der geopolitischen Gefahren des Syrien-Konflikts zuletzt stark von rund 87 Dollar/Barrel im April auf rund 107 Dollar Ende August gestiegen. Auch Erwartungen über die zukünftige Entwicklung spielen also auf dem Rohstoffmarkt eine wichtige Rolle.
Neben den Spotmärkten, auf denen die reale Nachfrage nach einer Tonne Kupfer oder einem Barrel Erdöl physisch gehandelt wird, bestehen im Rohstoffsektor auch sehr liquide Terminmärkte. Dort können sich Rohstoffproduzenten und -käufer über Terminkontrakte, sogenannte Futures, schon lange vor der physischen Lieferung der Rohstoffe auf einen Kaufpreis einigen und so Preisrisiken absichern. Außerdem schaffen die standardisierten Termingeschäfte einen transparenten und liquiden Markt für Kontrakte unterschiedlicher Laufzeiten.
Für Investoren mit einem mittleren bzw. längeren Anlagehorizont gilt es, die Besonderheiten der Terminmärkte zu kennen. Am Ende der Laufzeit des Terminkontraktes ist der Käufer verpflichtet, die vereinbarte Menge des Rohstoffs physisch zum festgelegten Preis abzunehmen. Um Erwerb und Lieferung zu vermeiden, müssen Investoren deshalb regelmäßig am Ende der Laufzeit den bestehenden Kontrakt verkaufen und einen neuen, länger laufenden Kontrakt kaufen.
Ob bei diesem regelmäßigen Wechseln, dem sogenannten "Rollen" der Kontrakte, Gewinne oder Verluste entstehen, hängt vom Verlauf der Terminkurve ab: Ein Rollgewinn entsteht, wenn der neue, länger laufende Kontrakt günstiger ist als der alte, auslaufende Kontrakt. In diesem Fall zeigt die Terminkurve einen fallenden Verlauf, der Terminmarkt befindet sich in Backwardation. Im umgekehrten Fall - Experten sprechen von Contango - zeigt die Terminkurve einen steigenden Verlauf und Anleger erleiden beim Rollen in den nächsten Kontrakt Verluste. Es kommt beim Rohstoffinvestment also nicht nur auf die reine Preisbetrachtung an, sondern auch immer darauf, welche Struktur die Terminkurve der einzelnen Rohstoffe hat.
Die Analyse der historischen Gesamtrendite von Rohstoffinvestments zeigt, dass ein bedeutender Teil auf Rollgewinnen beruht. Diese allerdings blieben zuletzt häufig aus: Während am Spotmarkt die Rohstoffpreise zum Teil kräftig stiegen, befanden sich die Warenterminmärkte im Contango und Investoren erlitten entsprechende Rollverluste. Ein Vergleich der beiden Rohstoff-Indizes DJ-UBS Commodity Spot Index und DJ-UBS Commodity Excess Return Index, die den Spotmarkt und den Terminmarkt abbilden, macht den Unterschied deutlich: Seit 2006 lieferte der Excess Return Index von DJ-UBS in jedem einzelnen Jahr niedrigere Renditen als der Spot-Index - verursacht durch Rollverluste. Der Grund: Spot-Indizes messen die Preisentwicklung eines diversifizierten Rohstoffkorbes am Kassamarkt, Excess-Return-Indizes hingegen die Entwicklung von Futures auf dieselben Rohstoffe unter Berücksichtigung der Rollaktivitäten.
Die wesentliche Schlussfolgerung für Anleger lautet daher: Neben den tatsächlichen Marktbewegungen der einzelnen Rohstoffe sind die Terminkurven ein wesentlicher Performancetreiber und sollten bei der Auswahl der Anlagestrategien und der relevanten Rohstoffindizes intensiv analysiert werden.
Rollverluste minimieren
Viele Rohstoffindizes der "ersten Stunde" haben die spezifischen Terminkurvenverläufe nicht berücksichtigt. Wer in Investmentlösungen investierte, die auf diesen Indizes beruhten, war in vollem Umfang dem Rollrisiko ausgesetzt, mit entsprechend negativen Folgen, wenn es zu Rollverlusten kam. Daraufhin haben die großen Indexanbieter wie zum Beispiel Dow Jones-UBS, Goldman Sachs oder die von Jim Rogers initiierten RICI-Indizes reagiert, in dem sie Rohstoffindizes der "zweiten Stunde" entwickelten, mit dem Ziel, Rollverluste zu minimieren oder ganz zu vermeiden. Der Erfolg gibt diesen sogenannten "Enhanced"-Indizes recht, denn die Renditeentwicklung war deutlich besser als bei Indizes, die Contango und Backwardation unbeachtet lassen.
Inzwischen gibt es moderne Indexkonzepte, die die Aufnahme eines Rohstoffes in den Index davon abhängig machen, ob sich seine Terminkurve in Backwardation oder Contango befindet. In unserem Hause werden seit über fünf Jahren regelbasierte, rolloptimierte Ansätze verwendet, die einmal im Quartal aus einem umfassenden Rohstoffkorb jeweils die zehn Rohstoffe identifizieren, die die höchsten Rollgewinne beziehungsweise die niedrigsten Rollverluste erwarten lassen. In der Strategie sind dann diese zehn Rohstoffe gleichgewichtet mit jeweils 10 % enthalten. Im Folgequartal wird die Zusammensetzung überprüft und im Zweifel angepasst.
Im aktuellen Kapitalmarktumfeld sind jedoch vielen Investoren das allgemeine Marktrisiko und die damit zusammenhängende Volatilität eines Rohstoffinvestments zu hoch. Der Trend geht daher zu intelligenten Konzepten mit deutlich niedrigerer Schwankungsbreite.
Um dieses Anforderungsprofil zu erfüllen, haben Fondsgesellschaften ihre bestehenden Long-only-Konzepte weiterentwickelt und bieten ihren Kunden intelligente, marktneutrale Strategien an. Diese marktneutralen Long-Short-Strategien kaufen Futures, die Rollgewinne erwarten lassen. Parallel dazu verkaufen sie Rohstoffe, die sich in ausgeprägtem Contango befinden. Der Vorteil dieser Investmentansätze: Sie vermeiden konsequent Rollverluste und können mit Hilfe der Short-Positionen sogar von Rollverlusten profitieren.
Das Ziel marktneutraler Strategien besteht darin, unabhängig von der allgemeinen Marktsituation positive Renditen zu erzielen. Ein Vergleich der Wertentwicklungen belegt ihre Wirksamkeit: Während im Zeitraum vom 28.12.2012 bis zum 31.7.2013 der Silberpreis in Dollar um 33,9 % einbrach und der Goldpreis in Dollar um 20,7 % nachgab, verloren marktbreite Long-only-Indizes - je nach Gewichtung der Edelmetalle - rund 10 % an Wert.
Andere Risikowahrnehmung
Marktneutrale Investmentansätze wie zum Beispiel der LBBW-Long-Short-Rohstoff-Index ER konnten im selben Zeitraum um 4,3 % zulegen. Hier zeigt sich, dass risikoaverse Anleger von der niedrigeren Volatilität im Vergleich zu Long-only-Strategien sowie von geringeren Korrelationen zum Aktienmarkt und zu marktbreiten Long-only-Rohstoffindizes profitieren können. Backtesting-Berechnungen zu diesen vergleichsweise jungen Anlageformen belegen zudem, dass marktneutrale Rohstoffstrategien auch während der vergangenen zehn Jahre eine durchschnittliche Quartalsperformance von 1,9 % erzielt hätten.
Die Nachfrage institutioneller Kunden nach marktneutralen Strategien steigt seit mehreren Jahren kontinuierlich an: Veränderte Marktbedingungen - ausgelöst durch die Finanz- und Schuldenkrise - haben zu einer veränderten Risikowahrnehmung geführt. Institutionelle Investoren suchen nachvollziehbare Investmentlösungen, die ihnen Zugang zu Asset-Klassen liefern, die gering zu Aktien und Anleihen korrelieren und spezifische Risiken minimieren. Inzwischen bieten Ucits-konforme Investmentfonds einem breiten Investorenkreis Zugang zu diesen Long-Short-Ansätzen.
Rohstoffe wie Erdöl, Kupfer oder Aluminium sind für viele Industriezweige unersetzlich. Neben Angebot und Nachfrage beeinflussen auch Erwartungen die Rohstoffpreise auf dem Terminmarkt. Mit der geeigneten Strategie - marktbreiter Rohstoffindex, rolloptimierte Strategie oder marktneutraler Long-Short-Ansatz - können sich professionelle Investoren und Privatanleger selbst in Stressphasen flexibel auf dem Rohstoffmarkt engagieren und entsprechend ihrer Risikoneigung investieren.
Jürgen Zirn, Geschäftsführer der LBBW Asset Management