Kolumne

Bitcoin: Gibt es eine tickende Zeitbombe im Krypto-Sektor?

decentralist.de · Uhr
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Charttechnisch gesehen bleibt Bitcoin seit dem Einbruch Mitte August vorerst schwach auf der Brust. Nach dem Verlust des Aufwärtstrends seit Jahresanfang und wichtigen charttechnischen Indikatoren bewegt der Kurs sich in einer Spanne zwischen 25.000 und 26.000 Dollar. 

Quelle: Tradingview

Dabei sieht das Makro-Bild eigentlich gar nicht so schlecht aus für das Asset. Sicher, die Gefahr einer globalen Rezession bleibt – aus vielen Gründen – weiterhin bestehen, doch andererseits ist auch vieles bereits am Markt eingepreist worden. Die Geldpolitik der Notenbanken kann die Märkte nun nicht mehr wirklich schocken. Im Gegenteil, mittlerweile kann eigentlich nur noch eine positive Überraschung folgen. Zudem bleibt den Marktteilnehmern im Hinterkopf, dass jedes auftretende Problem (zumindest kurzfristig) durch die Druckerpresse gelöst werden kann. Und spätestens seit Corona wissen wir, dass die Zentralbanken einspringen werden, egal wie hawkish sich manche Notenbanker auf Pressekonferenzen auch geben.

Und nach einem hindernisreichen ersten Halbjahr mit einer Menge regulatorischer Angriffe und dem Verlust wichtiger Fiat-Schnittstellen (unter anderem die Silvergate Capital Bank) in den USA scheint sich der Wind nun auch für Krypto zu drehen, denn der Kreuzzug der Aufsichtsbehörden scheint spätestens vor Gericht zu enden. Der wichtige Sieg von Grayscale gegen die SEC hat die Chancen auf einen Bitcoin-ETF signifikant erhöht. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis er zugelassen wird.

Derzeit gibt es eigentlich nur zwei Faktoren, die für Kursdruck auf Bitcoin und den ganzen Krypto-Sektor sorgen. Einer davon ist ein „verlässlich“ wiederkehrender Faktor, denn er hat mit den übergeordneten Preismustern von Bitcoin zu tun. Die derzeit stattfindende Korrektur fügt sich überraschend akkurat in die Bitcoin-Zyklen hinein. Das genaue Zeitfenster und Ausmaß der Korrektur ist zwar schwer prognostizierbar, doch das Ereignis an sich ist aufgrund der „Berechenbarkeit“ eher kein Grund zur Sorge. Im Detail bin ich darauf in einer meiner letzten Kolumnen eingegangen.

Der zweite Faktor ist leider sehr viel unberechenbarer. Und das sowohl, was seine Eintrittswahrscheinlichkeit als auch was sein mögliches Ausmaß auf die Kursentwicklung angeht. Spätestens seit dem spektakulären Zusammenbruch der US-Skandalbörse FTX ist das Vertrauen der Marktteilnehmer in zentralisierte Krypto-Börsen stark geschädigt, wenn nicht sogar komplett verloren. Und die Echos des FTX-Kollapses suchen den Markt weiterhin heim.

Sam Bankman-Fried, Gründer und ehemaliger CEO der Handelsplattform, sitzt momentan in einem Gefängnis in den USA und bereitet sich für eine Gerichtsverhandlung vor, die für den 2. Oktober angesetzt ist. Denn das ehemalige Krypto-Wunderkind hält sich für unschuldig und will vor Gericht seine Freiheit zurückholen. Dies könnte er scheinbar auch dadurch versuchen, dass er Insider-Informationen über den Krypto-Sektor und vor allem andere zentralisierte Handelsplattformen preisgeben könnte. Diese Vermutungen kursieren am Markt, nachdem ein Anwaltsschreiben an das Gericht entsprechendes impliziert. 

Im schlimmsten Fall könnte das bedeuten, dass SBF Informationen zu Liquiditätslöchern, illegalen Handels-Praktiken und weiteren Problemen bei anderen Marktteilnehmern preisgibt, die zu ähnlichen Szenarien führen könnten, wie es damals bei FTX der Fall war. Der Zusammenbruch von FTX war wie eine Art Mini-Finanzkrise aus 2008, da die Börse Kundengelder für Zwecke genutzt hatte, die nicht rechtens waren (unter anderem Investitionen in andere Krypto-Projekte) und dadurch riesige Löcher im Balancesheet aufgerissen hat, die durch einen Kursverfall des FTT-Tokens und einem aus Vertrauensverlusten heraus entstandenen Bankrun der Kunden zur Implosion geführt hatte. Diese hatte anschließend weite Kreise durch den ganzen Krypto-Sektor gezogen.

Ist Binance die tickende Zeitbombe, die viele in der Börse sehen? 

Das derzeit größte Sorgenkind – auch unabhängig von möglichen Informationen durch SBF – ist die weltgrößte Kryptobörse Binance. Bereits seit Anfang des Jahres steht die Börse im Fadenkreuz der US-Behörden CFTC und SEC. Die Anklagepunkte sind dabei vielfältig: Operieren im Finanzsektor ohne entsprechende Lizenzen, Geldwäsche, Marktmanipulation und vieles mehr. Die größte Sorge ist jedoch, dass Binance auf ähnlichen Liquiditätslöchern sitzt, wie seiner Zeit FTX und ein Großteil der Kundengelder gar nicht vorhanden ist. Zudem besteht die Sorge, dass auch der BNB-Token künstlich hochgepumpt wurde und als Deckung für viele Positionen im Balancesheet der Firma genutzt wird, obwohl kein richtiger Wert dahintersteckt.

Am Markt kursieren Vermutungen, dass Binance derzeit Bitcoin-Bestände (aus Kundengeldern) verkauft, um den Kurs des BNB-Token zu stützen und damit eine Implosion des eigenen Imperiums zu verhindern. Dies sind zurzeit alles nur Gerüchte und Vermutungen. Es gibt keinerlei Beweise, dass Binance Liquiditätsprobleme hat und bisher operiert die Handelsplattform weiterhin ohne Probleme. Zuletzt hat auch der CEO auf Twitter noch einmal bekräftigt, dass es sich bei den Anschuldigungen lediglich um FUD (Fear, Uncertainty and Doubt) handle. 

Doch es gibt durchaus Faktoren, die Sorgen machen. Da ist zum einen die Sache mit dem hauseigenen Stablecoin von Binance, BUSD. Nach einem regulatorischen Vorstoß der USA gegen Paxos, dem Herausgeber des Stablecoins, ist dieser mittlerweile so gut wie vom Markt verschwunden, nachdem er Ende 2022 noch eine Rekord-Marktkapitalisierung von etwa 23 Milliarden Dollar erreicht hatte. Bisher ist unklar, inwieweit der Firma der Verlust des eigenen Stablecoins wirtschaftlich geschadet hat. Zudem gibt es Vermutungen, dass die Rally von Bitcoin seit Jahresbeginn zu einem Großteil dadurch befeuert wurde, dass Binance die eigenen BUSD-Bestände in andere Krypto-Assets, darunter größtenteils Bitcoin, umgewandelt hat und so für den Preisanstieg gesorgt hat.

Ein weiterer besorgniserregender Punkt ist die Geschwindigkeit, mit der führende Angestellte das Unternehmen verlassen. In diesem Tweet werden die wichtigsten Punkte zusammengefasst, die die derzeitigen Probleme von Binance hervorrufen, darunter die Probleme durch den Abzug von Kundengeldern im großen Stil, Kündigungen hochrangiger Mitarbeiter, regulatorische Rückschläge, die Probleme mit dem BUSD-Stablecoin und die Verluste wichtiger Partner im traditionellen Finanzsektor.

Binance steht derzeit also, vorsichtig ausgedrückt, durchaus unter Druck. Am ende wird bei dieser Sache entscheidend sein, ob die Liquidität ausreichend vorhanden ist und sämtliche Kundengelder da sind, so wie Changpeng Zhao es wiederholt bestätigt. Sämtliche Vorwürfe anderer Art, sollten sie wahr sein und zu regulatorischen Konsequenzen führen, wären eine Herausforderung für das Unternehmen und dürften zu wirtschaftlichen Schäden führen. Aufgrund der Relevanz im Krypto-Sektor und der wirtschaftlichen Stärke (sollte sie echt sein) dürfte Binance sich von solchen Sachen jedoch wieder erholen.

Sollte jedoch wirklich etwas mit der Liquidität nicht stimmen und sich ein ähnliches Szenario entfalten wie damals mit FTX, dann wird es richtig ungemütlich für den ganzen Sektor. Denn Binance ist mehrere Hausnummern größer als FTX. Ein Großteil des gesamten Handelsvolumens des Sektors findet auf dieser Börse statt. Ein Zusammenbruch von Binance wäre ein BlackSwan-Event, der den Sektor in die Tiefe reißen würde. 

Es ist schwer zu prognostizieren, wie der Impact letzten Endes aussehen würde. Im besten Fall könnte sich ein Szenario wie im März 2020 ausspielen und die Märkte in den Abgrund schicken – allerdings steht aufgrund des soliden fundamentalen Ausblicks für Krypto durchaus Kaufdruck bereit, der sich bei entsprechend tiefen Kursen entfalten dürfte. Eine relativ schnelle Erholung (auf niedrigerem Niveau) würde ich nicht für unwahrscheinlich halten. Allerdings würde eine Erholung auf breiter Front für den Markt wahrscheinlich Monate, vielleicht sogar Jahre dauern und sehr viele Projekte würden das Zeitliche segnen. Es wäre ein Auswaschen des Sektors im ganz großen Stil, den nur die besten Projekte überleben würden. Manch ein Krypto-Enthusiast mag sich solch ein Szenario sogar wünschen.

Fazit aus der Investment-Perspektive

Letzten Endes sind das nur Vermutungen von mir. Ich halte es für wahrscheinlich, dass ein paar der Vorwürfe der Regulatoren stimmen und Binance daraus entsprechende wirtschaftliche Konsequenzen wird ziehen müssen. Dass Binance eine ähnliche Luftnummer ist, wie FTX halte ich eher für unwahrscheinlich – der heftige Bärenmarkt aus 2022 und alle Effekte aus dem FTX-Kollaps, sowie Terra Luna, Celsius und Co, sowie der Verlust des BUSD-Stablecoins hätten sonst wahrscheinlich eine stärkere Wirkung auf die Plattform und den BNB-Kurs gezeigt. 

Aus der Investment-Perspektive ist es trotzdem wichtig, sich für ein solches Szenario vorzubereiten, da die angesprochenen Faktoren die Möglichkeit leider über Null heben. Für Bitcoin stellt ein solches Szenario langfristig gesehen keine Gefahr dar, denn das Bitcoin-Netzwerk an sich ist unberührt von Binance. Kurzfristig würde es jedoch natürlich einen extremen Einfluss auf den Preis nehmen. Für Ethereum und andere dezentrale Protokolle gilt dasselbe.

Was man als Investor an praktischen Schritten tun kann, ist zum einen, sein Kapital von der Binance-Plattform zu holen und auf einer eigenen Wallet zu halten, wenn man 100% auf Nummer sicher gehen will. Das sollte man meiner persönlichen Meinungen nach sowieso immer mit seinen Krypto-Assets tun.

Zum anderen sollte man überprüfen, inwiefern die eigenen Krypto-Positionen direkt oder indirekt mit Binance zusammenhängen. Besteht eine Partnerschaft? Wie viel des Handelsvolumens des Tokens findet auf Binance statt? Läuft das Projekt auf der BNB-Smartchain? Die Kernfrage lautet: sollte das Worstcase-Szenario eintreffen, kann das Projekt dann unabhängig weitermachen oder würde ein Kollaps von Binance dem Projekt die Existenzgrundlage nehmen?

Zumindest eines kann man vom Krypto-Sektor derzeit definitiv nicht behaupten: dass es langweilig wäre. Denken Sie langfristig!

Momentan scheint der Krypto-Markt sich ausschließlich auf einen Bitcoin-Spot-ETF zu konzentrieren. Doch ist die Zulassung wirklich die Bedingung dafür, dass ein neuer Krypto-Bullrun starten kann? In der aktuellen Video-Ausgabe von decentralist finden Sie die Pro- und Kontra-Argumente, sowie eine Beurteilung für diese Frage. 

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