ANALYSE/LBBW: Ewigkeits-Chemikalien könnten Versicherer mehr kosten als Asbest
STUTTGART (dpa-AFX) - Gefährliche Ewigkeits-Chemikalien könnten der Versicherungsbranche nach Einschätzung der Landesbank LBBW den teuersten Schaden ihrer Geschichte einbrocken. Mögliche Schadenersatz-Forderungen wegen der extrem langlebigen per- und polyflourierter Alkylsubstanzen (PFAS) drohten die Branche damit noch schwerer zu treffen als der Asbest-Skandal aus dem 20. Jahrhundert, schreibt LBBW-Versicherungsanalyst Werner Schirmer in einer am Dienstag veröffentlichten Studie. Damit hält der Experte Versicherungsschäden von mehr als 100 Milliarden US-Dollar (92 Mrd Euro) für möglich.
So hat sich der US-Mischkonzern 3M in den USA im vergangenen Jahr zu einer Zahlung von bis zu 12,5 Milliarden Dollar verpflichtet. Wasserversorger hatten den Hersteller verklagt, weil Ewigkeits-Chemikalien in Feuerlöschschäumen von 3M ins jahrzehntelang ins Grundwasser gelangt waren. Und es gibt weitere Klagen im Zusammenhang mit der Schädigung natürlicher Ressourcen. Zudem klagen Privatpersonen wegen erlittener Gesundheitsschäden. PFAS werden etwa auch in Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen, Textilien sowie in Auto- und Ski-Wachsen eingesetzt.
Analyst Schirmer verweist auf Daten des Versicherungsdienstleisters Praedicat. Dieser erwarte bei Verbraucherklagen in den USA im Extremfall Entschädigungen in dreistelliger Milliarden-Dollar-Höhe. "Das Risiko, dass PFAS höhere Versicherungsschäden verursacht als Asbest, scheint nicht unerheblich zu sein", folgert der Analyst. Allerdings schlössen einige Versicherer inzwischen Umweltverschmutzung in ihren Firmenhaftpflichtverträgen aus. Dies mache die Prognosen schwieriger.
Asbest wurde lange Zeit in Wänden, Leitungen und Feuerschutzkleidung verwendet. Durch das Einatmen von Asbestfasern vor allem auf dem Bau und in der Industrie erkrankten viele Menschen an Lungenkrebs. In Deutschland und der EU wurde die Verwendung von Asbest inzwischen verboten, in den USA und vielen anderen Ländern ist sie aber großenteils erlaubt.
Laut der auf Versicherer spezialisierten Ratingagentur A.M.Best haben Erst- und Rückversicherer bis Ende 2022 allein in den USA bereits 100 Milliarden Dollar wegen Asbestfällen gezahlt. Das entspricht etwa der Summe, die Versicherer im Jahr 2023 weltweit für Schäden durch Naturkatastrophen bezahlt haben.
Mit Blick auf PFAS erwartet Schirmer, dass wie bei Asbest vor allem US-Unternehmen verklagt werden. Aber auch der deutsche Chemiekonzern BASF sieht sich in den Vereinigten Staaten tausenden Klagen wegen PFAS ausgesetzt - auch wegen Feuerlöschschaum.
Inwiefern europäische Versicherer für PFAS-Fälle bezahlen müssen, ist laut Schirmer derzeit kaum vorherzusagen. Allerdings dürften sie Rückversicherer stärker treffen als Erstversicherer.
Das höchste Risiko vermutet Schirmer beim Schweizer Rückversicherer Swiss Re . Dahinter folgten die deutschen Branchengrößen Hannover Rück und Munich Re sowie der Schweizer Versicherer Zurich . Der deutsche Talanx-Konzern (HDI) dürfte nach Schirmers Einschätzung ebenfalls stärker betroffen sein, zumal ihm gut 50 Prozent der Hannover Rück gehören./stw/mne/mis