Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer

Reuters · Uhr

- von Toby Sterling und Charlotte Van Campenhout

Amsterdam (Reuters) - Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen.

Haftbefehle wurden ebenfalls gegen den früheren israelischen Verteidigungsminister Joaw Gallant und einen der Anführer der radikal-islamischen Hamas, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri (auch als Mohammed Deif bekannt), ausgestellt, wie der IStGH in Den Haag am Donnerstag mitteilte. Zu den Netanjahu und Gallant vorgeworfenen Verbrechen gehörten auch Aushungern als Mittel der Kriegsführung, Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen.

Der Strafgerichtshof sieht Grund zum Anlass, dass der 75-jährige Netanjahu und der 66-jährige Gallant als zivile Vorgesetzte jeweils strafrechtlich verantwortlich seien für das Kriegsverbrechen des vorsätzlichen Angriffs auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.

ISRAELS STAATSCHEF KRITISIERT HAFTBEFEHLE ALS ABSURD

Das Büro von Netanjahu wies das Vorgehen des Strafgerichtshofs zurück und nannte die Haftbefehle antisemitisch. "Israel weist die absurden und falschen Maßnahmen des ICC (IStGH) gegen es mit Abscheu zurück", ließ der Regierungschef mitteilen. Israel werde "dem Druck nicht nachgeben" und seine Bürger verteidigen.

Israels Präsident Isaac Herzog bezeichnete die Haftbefehle gegen die beiden Politiker als absurd. Die Hamas wiederum sieht die Haftbefehle für Netanjahu und Gallant als Schritt in Richtung Gerechtigkeit und forderte den Internationalen Strafgerichtshof auf, die Verantwortung auf alle israelischen Anführer auszuweiten.

Die Niederlande sind einem Medienbericht zufolge bereit, den Haftbefehl gegen Netanjahu notfalls zu vollstrecken. Dies berichtete die niederländische Nachrichtenagentur ANP unter Berufung auf Außenminister Caspar Veldkamp. Von der Bundesregierung war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, hatte im Mai die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant wegen der Kriegsführung im Gazastreifen und gegen mehrere Hamas-Anführer wegen des Überfalls der palästinensischen Extremistengruppe vom Oktober 2023 auf Israel beantragt. Israel erkennt den IStGH nicht an. Die Frage einer Umsetzung eines Haftbefehls gegen Netanjahu hatte in Deutschland eine scharfe Debatte ausgelöst.

Israel hatte erklärt, Al-Masri bei einem Luftangriff getötet zu haben, die Hamas hat dies weder bestätigt noch dementiert. Der Chefankläger hatte ursprünglich auch Haftbefehle für die beiden Hamas-Anführer Ismail Hanijeh und Jahja Sinwar erlassen. Nach der Bestätigung ihres Todes wurden sie inzwischen aber zurückgenommen. Bei Al-Masri will die Anklage aber nach Angaben des Gerichts noch bis zur endgültigen Bestätigung des Todes warten. Deshalb erließ der Strafgerichtshof den Haftbefehl.

Im März 2023 hatte der IStGH wegen des Ukraine-Kriegs einen internationalen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen, der aber bisher nicht vollstreckt wurde.

Die Hamas hatte bei einem Überraschungsangriff am 7. Oktober 2023 nach israelischen Angaben etwa 1200 Menschen getötet und rund 250 als Geiseln verschleppt. Rund 100 sollen noch in der Gewalt der Extremisten sein. Israel startete eine Militäroffensive als Reaktion auf den Überfall und geht hart gegen die Hamas vor. Im Gazastreifen wurden nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde mindestens 44.000 Menschen getötet. Mehr als 104.200 Palästinenserinnen und Palästinenser seien verletzt worden. Der Großteil der Bevölkerung im Gazastreifen ist auf der Flucht oder vertrieben. Die Versorgungslage ist dramatisch.

(Bericht von Toby Sterling, Charlotte Van Campenhout und Jonathan Sau, geschrieben von Klaus Lauer und Christian Götz, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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