Welthandel droht im Zollkrieg zu schrumpfen: WTO-Chefin in großer Sorge

Genf/Berlin (Reuters) - Angesichts der von den USA in Gang gesetzten Zollspirale droht der Welthandel dieses Jahr zu schrumpfen.
Diese Prognose stellt die Welthandelsorganisation (WTO) in ihrem am Mittwoch vorgelegten Ausblick. Die WTO-Experten gehen davon aus, dass das Volumen des Welthandels 2025 um 0,2 Prozent zurückgehen wird - im schlimmsten Fall sogar um 1,5 Prozent. Dies wäre der stärkste Rückgang seit 2020, als die Corona-Pandemie den Welthandel ausbremste. Ohne die jüngsten Entwicklungen im Zollstreit wären der WTO zufolge rund drei Prozentpunkte mehr und somit ein Wachstum drin gewesen. "Ich bin sehr besorgt, der Rückgang des Wachstums des globalen Warenhandels gibt Anlass zu großer Sorge", sagte WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala vor Reportern in Genf.
Laut den Experten der Organisation ist erst für 2026 mit einer moderaten Erholung zu rechnen. Dann winke ein Zuwachs von 2,5 Prozent. Doch auch damit wäre das Wachstum niedriger als 2024, als ein Plus von 2,9 Prozent erreicht wurde. Noch im Oktober hatte die WTO für 2025 mit einem Zuwachs von 3,0 Prozent gerechnet. Doch US-Präsident Donald Trump hat den 2. April zum "Tag der Befreiung" erklärt und zahlreichen Handelspartnern pauschale Zölle von 20 Prozent aufgebrummt. Diese wurden kurz danach für 90 Tage auf Eis gelegt. Nicht jedoch für China: Die Importzölle auf Waren aus der Volksrepublik wurden sogar auf 145 Prozent hochgeschraubt, worauf China mit Gegenzöllen von 125 Prozent auf US-Waren konterte.
Bei der WTO-Vorhersage ist bereits die von Trump verkündete Aussetzung der Sonderzölle für viele Länder berücksichtigt. Sollten diese sogenannten reziproken Zölle jedoch umgesetzt werden, dürfte der Welthandel laut der WTO 2025 noch stärker unter die Räder kommen: Dann würde es noch weitere 0,6 Prozentpunkte nach unten gehen. Und bei einer weiter steigenden handelspolitischen Unsicherheit rund um den Globus wäre dann sogar ein Schrumpfen des Welthandels um 1,5 Prozent denkbar.
GEHEN CHINA UND USA GETRENNTE WEGE?
Die Verwerfungen durch den Zollstreit zwischen den USA und dem Exportweltmeister China dürften demnach auch auf andere Regionen ausstrahlen. So könnte es wegen der hohen Importzölle in den USA zu einer Umleitung von Handelsströmen aus der Volksrepublik in andere Regionen der Welt kommen. Waren-Exporte Chinas in Regionen außerhalb Nordamerikas dürften demnach um vier bis neun Prozent zulegen. Zugleich werden die Einfuhren der USA aus China in einigen Bereichen voraussichtlich deutlich sinken - so etwa bei Textilien und elektrischer Ausrüstung.
Die WTO-Chefin sagte, ihre größte Sorge sei eine Entkoppelung der Volkswirtschaften Chinas und der USA voneinander. Die WTO schätzt, dass der Warenhandel zwischen den beiden Ländern um 81 Prozent zurückgehen wird – ein Rückgang, der ohne die jüngsten Ausnahmeregelungen für Produkte wie Smartphones sogar auf 91 Prozent gestiegen wäre. "Eine Entkoppelung könnte weitreichende Konsequenzen haben, wenn sie zu einer stärkeren Fragmentierung der Weltwirtschaft entlang geopolitischer Linien in zwei isolierte Blöcke beitragen würde", warnte Okonjo-Iweala.
Die WTO wies bei ihrer Prognose darauf hin, dass man sich bei der Bewertung der Auswirkungen des Zollkonflikts auf weitgehend unbekanntes Territorium vorwage. "Der beispiellose Charakter der jüngsten Änderungen in der Handelspolitik stellt eine Herausforderung für Wirtschaftsprognostiker dar, da es in der jüngeren Geschichte kein direkt vergleichbares Ereignis gab." Die WTO wurde 1995 gegründet. Sie soll die Regeln für den globalen Warenaustausch setzen und überwachen. Berater von Trump sehen die WTO allerdings als Vehikel Chinas.
(Bericht von Reinhard Becker und Olivia Le Poidevin; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)