Kolumne von Andreas Lipkow

Japan - Zinspolitik am Scheideweg

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Die Japanische Zentralbank beendete in diesem Jahr ihre langjährige negative Zinspolitik. Am 19. März erhöhte sie erstmals seit 2007 den Leitzins und überraschte im Juli mit einer weiteren Anhebung auf 0,25 Prozent, dem höchsten Stand seit 15 Jahren. Die Bank of Japan signalisiert zudem weitere Schritte, falls sich Wirtschaft und Inflation wie prognostiziert entwickeln. Welche Folgen hat der neue Zinskurs für Anleger in japanischen Aktien und wie könnte sich dies auf die japanische Wirtschaft auswirken?

Quelle: Jones M/Shutterstock.com

Die Zins- und Geldmarktpolitik in Japan ist seit Jahrzehnten ein bedeutendes Thema in der globalen Wirtschaftslandschaft. Japan hat in den letzten Jahren eine beispiellose geldpolitische Strategie verfolgt, die auf extrem niedrigen Zinssätzen und unkonventionellen Maßnahmen beruht. Diese Politik hat sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen auf die japanische Wirtschaft und wird auch in Zukunft tiefgreifende Konsequenzen haben. Nicht zuletzt nehmen viele institutionelle Investoren Kredite in Yen auf und legen diese in höher verzinslichen Anlageformen in Europa und den USA an. Rückabwicklungen dieser sog. Carry-Trades, durch einen aufwertenden Yen, hätte weitreichende Folgen für die internationalen Finanzmärkten. Einen kleinen Vorgeschmack darauf gab es bereits Anfang August nach der unerwarteten Zinsaktion der Bank of Japan.

Die Niedrigzinspolitik und ihre Ursprünge

Japan kämpfte seit den 1990er Jahren mit wirtschaftlicher Stagnation und einer hartnäckigen Deflation. Diese Phase, oft als "Verlorenes Jahrzehnt" bezeichnet, begann nach dem Platzen der Immobilien- und Aktienmarktblase in den späten 1980er Jahren. Um die Wirtschaft anzukurbeln und die Deflation zu bekämpfen, hat die Bank of Japan (BoJ) in den folgenden Jahrzehnten eine Reihe von geldpolitischen Lockerungen durchgeführt, darunter die Senkung der Leitzinsen auf nahezu null.

In den 2000er Jahren führte die BoJ quantitative Lockerungsmaßnahmen ein, um die Geldmenge zu erhöhen und die Kreditvergabe zu fördern. Diese Maßnahmen wurden weiter intensiviert, insbesondere nach der globalen Finanzkrise von 2008. Andere Notenbanken, wie die EZB und die US-FED, folgten diesem Trend und es begann ein weltweiter Abwertungswettlauf unter den führenden Leitwährungen.

Im Jahr 2016 ging die BoJ noch einen Schritt weiter und führte eine negative Zinspolitik (NIRP) ein, bei der Geschäftsbanken für das Halten von Überschussreserven bei der Zentralbank Strafzinsen zahlen müssen. Ziel dieser Maßnahme war es, Banken zu ermutigen, Kredite zu vergeben, anstatt Geld bei der Zentralbank zu parken. Flankierend wurden die Renditen an den Anleihemärkten in Japan über das sog. Yield-Curve-Control-Programm (YCC) kontrolliert. Über gezielte Käufe japanischer Staatsanleihen, über die verschiedenen Laufzeiten hinweg, erschuf die Bank of Japan ein künstliches und kontrollierbares Renditeniveau in Japan.

Japan hatte seit Jahren an seiner extrem lockeren Geldpolitik festgehalten und die Wirtschaft in Japan in einem geringen Umfang davon profitiert. Erst mit dem Auftauchen von erheblichen Inflationssteigerungen und den daraus resultierenden negativen Folgen auf den Konsum, nicht nur in Japan, rückte die Zentralbank in Japan von dieser Geldpolitik wieder ab. Die unkonventionellen Maßnahmen zur Zins- und Geldmarktsteuerung hatten das Ziel, die Inflation auf das gewünschte Niveau von 2 % zu bringen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln erfüllt und nun schien sich eine Dynamisierung der Inflationsentwicklungen abzuzeichnen.

Trotz dieser aggressiven geldpolitischen Maßnahmen hat die japanische Wirtschaft weitere Herausforderungen, die durch die bisherige Niedrigzinspolitik teilweise verschärft wurden.

Japan hat eine der am schnellsten alternden Bevölkerungen der Welt. Dies führt zu einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung und einer geringeren inländischen Nachfrage, was das Wirtschaftswachstum bremst. Die Niedrigzinspolitik hatte zwar kurzfristig die Kreditvergabe und Investitionen unterstützt, doch langfristig wird es schwierig sein, die strukturellen Probleme der alternden Bevölkerung allein durch Geldpolitik lösen zu können.

Die anhaltend niedrigen und negativen Zinssätze haben zu Assetblasen bei einigen Vermögenswerten geführt. Insbesondere an den Immobilien- und Aktienmärkten hatten sich bereits erkennbare Bewertungsasymmetrien gebildet. Die langfristige Aufrechterhaltung dieser Zinspolitik hätte zu einer massiven Überbewertung von Vermögenswerten und schließlich zu einer heftigen Korrektur an den Finanzmärkten in Japan geführt. Das konnte bereits Anfang August als kleiner Vorgeschmack beobachtet werden als der Nikkei Index von 39100 auf 31450 Punkten korrigierte.

Die negative Zinspolitik belastete die Rentabilität der japanischen Banken in den letzten Geschäftsjahren erheblich. Durch die niedrigen Zinsen schrumpfen die Zinsmargen der Finanzinstitute, was das Geschäft der Banken erschwerte und sie anfälliger für systematische Risiken machte. Langfristig hätte dies zu einer politisch nicht gewollten Konsolidierung im Bankensektor geführt und die Kreditvergabe in Japan weiter eingeschränkt.

Die intensiven Bemühungen der BoJ das Inflationsziel von 2 % zu erreichen, hatte sich im Laufe des aktuellen Handelsjahr verselbstständig. Ähnlich wie in den anderen westlichen Industrienationen importierte sich das rohstoffarme Land die Inflation durch die Importe von Rohstoffen. Die japanische Wirtschaft fing bereits an, unter den erhöhten Preisen zu leiden, und es bestand die Gefahr, dass die Wirtschaft in eine „Liquiditätsfalle“ abrutschen könnte, in der die Geldpolitik mittelfristig ihre Wirksamkeit verloren hätte.

Angesichts der Herausforderungen, mit denen die japanische Wirtschaft konfrontiert ist, stellt sich die Frage, ob die Bank of Japan ihre derzeitige geldpolitische Ausrichtung beibehalten kann.

Die BoJ war gezwungen, ihre Politik der quantitativen Lockerung und der negativen Zinssätze zu überdenken und mußte handeln. Eine allmähliche Straffung der Geldpolitik ist notwendig geworden, um finanzielle Instabilität zu vermeiden und nicht nur den Bankensektor zu stützen. Dies muss jedoch weiterhin sehr vorsichtig erfolgen, um eine wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden.

Neben der Geldpolitik wird die japanische Regierung stärker auf strukturelle Reformen setzen müssen, um das Wachstumspotenzial zu steigern. Dazu gehören Maßnahmen zur Bekämpfung des demografischen Wandels, zur Steigerung der Produktivität und zur Förderung der Arbeitsmarktbeteiligung. Auch die Fiskalpolitik wird eine größere Rolle spielen, insbesondere durch gezielte Investitionen in Infrastruktur und Innovation.

Die Zins- und Geldmarktpolitik in Japan hat der Wirtschaft Japans in den vergangenen Jahrzehnten geholfen, eine langanhaltende Phase der Deflation und Stagnation zu überwinden. Dennoch bleiben viele Herausforderungen bestehen, die durch eine alleinige Fokussierung auf Geldpolitik schwer zu bewältigen sind. Die zuletzt gesehenen Zinsmaßnahmen waren notwendig und dürften vorerst keine größeren Auswirkungen auf die zukünftige konjunkturelle Entwicklung haben.

Dafür wird es entscheidend sein, die Geldpolitik schrittweise weiter anzupassen und durch umfassende, auf den Binnenmarkt fokussierte, Strukturreformen zu ergänzen, um die langfristige wirtschaftliche Stabilität und das Wachstumspotenzial Japans zu sichern. In den kommenden Handelsmonaten werden japanische Aktien somit weiter interessant bleiben. Die internationalen Investoren haben den Aktienmarkt in Japan bereits seit einiger Zeit mit einem Bewertungsdisagio zu den anderen Finanzmärkten in den USA und Europa versehen. Dadurch stellen die kommenden Zinsanhebungen kein großes Risiko dar und könnten insbesondere für die japanischen Finanz- und Versicherungskonzerne eine interessante Situation darstellen.

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